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"Schweigen bedeutet Zustimmung"

Von Ines Scholz

Politik
Kasparow in Wien. Foto: ap

Garri Kasparow kritisiert den Westen. | Wien. Garri Kasparow redet nicht gern um den heißen Brei herum. Wenn bei Treffen der Anti-PutinFront oder bei Menschenrechtssitzungen statt konkreter Beschlussfassungen lange Grundsatzdebatten geführt werden, steht er auf und geht. Der neue Star der russischen Dissidentenbewegung hat sich Großes vorgenommen: Den einstigen KGB-Leutnant Wladimir Putin und sein "zynisches Regime" aus dem Kreml zu werfen und Russland zu einem demokratischen Land zu machen.


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"Unter Putin hat sich Russland in den letzten sieben Jahren zu einem autoritären Polizeistaat entwickelt, der jenem in Weißrussland oder Simbabwe kaum nachsteht", sprach der ehemalige Schachweltmeister bei einem Vortrag im Bruno-Kreisky-Forum in Wien Tacheles. Um sich bei den Präsidentenwahlen im März 2008 die Macht zu sichern, schrecke der Putin-Clan vor nichts zurück. Der Staat kontrolliere nicht nur die Medien, sondern habe Kritik an Putin&Co mittlerweile zu einem Strafdelikt erklärt, das mit bis zu 15 Jahre Haft geahndet werden kann; Grundlage sei das Anti-Extremismus-Gesetz, so Kasparow anlässlich der Gedenkveranstaltung an die ermordete Journalistin und Gesinnungsgenossin Anna Politkowskaja.

Die brutale Niederschlagung der friedlichen Protestmärsche vor zwei Wochen, die Kasparows Oppositionsbündnis "Das andere Russland" organisiert hatte, "war nur die Spitze des Eisberges", meinte der 44-Jährige. Dennoch "gibt es nur einen Weg: Weiter Widerstand zu leisten".

Den Westen ermahnte Kasparow, seine wohlmeinende Politik gegenüber Putin zu überdenken. "Wir erwarten nicht, dass uns der Westen unterstützt" - es wäre den Putin-Kritikern schon geholfen, wenn Politiker angesichts der systematischen Menschenrechtsverletzungen "nicht ihren Kopf in den Sand stecken". Denn sonst mache sich Europa zum Komplizen zukünftiger Verbrechen, warnte Kasparow. Der Westen unterhalte ja auch gute Wirtschaftsbeziehungen zu China, ohne das Regime zum gleichwertigen Partner zu erheben. "Das Regime Putins ist verletzlich, es kann es sich nicht leisten, alle Verbindungen zur freien Welt zu kappen", beruhigte Kasparow mögliche Skeptiker. Am Deal des österreichischen Bauunternehmens Strabag mit Oleg Deripaska übte er jedoch Kritik. "Wenn man mit russischen Oligarchen Geschäfte macht, nimmt man Geld fragwürdiger Herkunft an".

Dass der Zuspruch für das "korrupte Putin-System" in der russischen Bevölkerung trotz medialer Propaganda zu kippen beginnt, davon ist Kasparow überzeugt. "Man muss nur die Fragen richtig stellen". In seinen Reisen quer durchs Land habe er viele Menschen getroffen, die enttäuscht seien, weil sie trotz der Ölmilliarden noch immer am Existenzminimum leben müssen.