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Größte Partei steht vor der Spaltung. | St. Gallen. Die seit Jahrzehnten stabile Parteienlandschaft der Schweiz gerät in Bewegung. Die größte Partei des Landes, die rechtsnationale SVP, steht vor der Spaltung.
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Erst verlor die Schweizerische Volkspartei (SVP) die Abstimmung vom Sonntag über die Verschärfung des Einbürgerungsrechts. Mit 36 Prozent Zustimmung für ihre Initiative konnte sie kaum Stimmen über ihr eigenes Lager hinaus gewinnen. Am Montag folgte der zweite Schlag: Der liberale Flügel der Partei, der vor allem im großen Kanton Bern stark ist, will eine eigene Partei bilden. Mit dabei der SVP-Verteidigungsminister Samuel Schmid, der seit langem auf Kriegsfuß mit der Parteiführung steht. Er unterstützt den Antrag, aus der SVP auszutreten.
SVP gibt sich gelassen
Noch ist offen, wie groß die neue Partei werden wird. So wird nicht damit gerechnet, dass die liberalen SVP-Abweichler die gesamte Kantonalpartei überzeugen können, aus der SVP Schweiz auszutreten. Die Anhänger des Zürcher Milliardärs Christoph Blocher, der im Dezember als Justizminister abgewählt worden war, sind auch in Bern stark.
Klar ist dagegen, dass der Großteil der alten SVP Graubünden der neuen Partei angehören wird. Denn deren Ausschluss durch die Führung der SVP Schweiz am Sonntag hat den Ausschlag für den Austritt der Berner Liberalen gegeben. Der Grund des Ausschlusses der Bündner durch die SVP-Führung: Die Bündner wollten sich nicht von Eveline Widmer-Schlumpf trennen. Die einstige Finanzministerin war im Dezember vom Parlament an Stelle Blochers in die Schweizer Regierung gewählt worden.
Auch in einigen andern Kantonen gibt es liberale SVP-Politiker. Doch ob es am Ende reicht, um in Bern fünf Parlamentarier für eine Fraktion zu bekommen, ist fraglich. Wer Karriere machen will, bleibt wohl lieber bei der bisher erfolgreichen SVP. Deren Präsident, der 33-jährige St. Galler Toni Brunner, gibt sich denn auch gelassen: "Reisende soll man nicht aufhalten."
System zerfällt
Mit der Abspaltung der Liberalen von der SVP zerfällt auch der Rest des Schweizer Konkordanzsystems: Seit Ende der 50er Jahre haben die vier größten Parteien - außer der SVP die Sozialdemokraten, die Freisinnigen und die Christdemokraten - gemeinsam regiert. Mit der Abwahl Blochers erklärte die SVP die Konkordanz für tot. Mit dem Austritt Schmids und dem Ausschluss Widmer-Schlumpfs ist die stärkste Partei des Landes auch tatsächlich nicht mehr in der Regierung vertreten.
Die Abstimmung am Sonntag hat gezeigt, dass viele der SVP-Positionen anders als während ihres Aufstiegs in den 90er Jahren nicht mehr mehrheitsfähig sind. Außerdem ist Blocher spürbar müde geworden. Der 67-Jährige wirkt bei Auftritten zunehmend geschwätzig, seine Witze und Pointen wirken abgenutzt.
Das politische System der Schweiz hat nun bis zum Oktober 2011 Zeit, mit der neuen Situation umgehen zu lernen. Erst dann wird wieder auf nationaler Ebene gewählt werden.