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Schweizer "Zauberformel" von Wahlergebnis überholt

Von Wolfgang Tucek

Politik

Nach dem Wahlsieg der Schweizerischen Volkspartei (SVP) bei den Parlamentswahlen am Sonntag gibt die Schweizer Politik ein polarisiertes Bild ab. Während auch die Grünen und die Sozialdemokraten (SP) zulegten, brach die bürgerliche Mitte aus Christdemokraten (CVP) und Freisinnigen (FDP) ein. Die nach der "Zauberformel" auf Konsens ausgelegte Schweizer Regierung steht vor grundlegenden Umwälzungen.


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Das offizielle Endergebnis der Schweizer Parlamentswahlen (siehe Grafik) führte zu heftigen Diskussionen um die künftige Regierungsform. Die SVP verlangte ultimativ einen zweiten Ministerposten in der siebenköpfigen Regierung (Bundesrat) für ihren Parteifinancier, den Chemie-Unternehmer Christoph Blocher. Andernfalls werde sie in die Opposition gehen, drohte die SVP. Und mit einer ausgeprägten Oppositions-Situation haben die Schweizer aufgrund der seit 1959 geltenden "Zauberformel" keine Erfahrung: Sozialdemokraten, Christdemokraten und Freisinnige stellten seither je zwei Vertreter im Bundesrat, die SVP einen. Seit 1999 ist die SVP aber stimmenstärkste Partei und seit Sonntag hat sie auch die meisten Mandate im Nationalrat.

SVP-Forderung nach Wahlergebnis plausibel

Insofern scheint die Forderung nach einem zweiten Posten im Bundesrat nicht vermessen. Auch der Dachverband der Schweizer Wirtschaftstreibenden hat sich bereits explizit für eine Regierungsbeteiligung Blochers ausgesprochen. Einzig die vehemente und laute Art und Weise mit der die Volkspartei ihren Sitz fordert sorgt für Unstimmigkeiten. Denn mit dem Wählerwillen kann schwerlich argumentiert werden, wenn die größte Partei weniger Minister stellt, als die zur Zwölf-Prozent-Partei abgerutschte CVP.

Und eben auf einen der beiden CVP-Plätze hat es Blocher abgesehen. Die Wahl der neuen Regierung im Schweizer Parlament am 10. Dezember wird somit zu einer richtungsweisenden Entscheidung für die politische Kultur in der unmittelbaren Zukunft des Landes werden.

Wird Blocher tatsächlich statt einem der CVP-Bundesräte neben dem bisher amtierenden SVP-Minister Samuel Schmid - der nicht zum Blocher-Flügel gehört - gewählt, besteht die Sorge, ob eine konstruktive Regierungsarbeit mit dem notorischen Querschießer möglich ist. Blocher sieht darin kein Problem - sofern er die Ideen der SVP umgesetzt sieht. Dieser Möglichkeit wurde gestern allerdings heftig von den Vorsitzenden der drei anderen Regierungsparteien widersprochen. Philipp Stähelin (CVP), Christiane Langenberger (FDP) und Christiane Brunner (SP) sahen sich durch das Vorpreschen des SVP-Präsidenten Ueli Maurer gleich am Wahlabend überrannt.

Alles nur Taktik für Gang in die Opposition?

Desweiteren spekulieren Analysten, ob die SVP den Blocher-Anspruch eventuell nur lanciert hat, um künftig völlig auf die Oppositionsrolle einzuschwenken. Wird der Volkspartei nämlich kein zweiter Bundesratsposten zuerkannt, und Schmid will nicht zurücktreten, könnte sich die SVP der keine Opposition gewohnten Regierung die nächste Legislaturperiode äußerst schwer machen und bei den nächsten Wahlen noch erfolgreicher sein. Schmid würde in diesem Fall aus der Partei ausgeschlossen, kündigte Maurer bereits an. Für diesen Fall bot Langenberger Schmid politisches Asyl in der FDP an.

Mit diesem Szenario spekulieren bereits die ebenfalls bei den Wahlen erfolgreichen Grünen. Deren Parteichefin Ruth Genner hat die SVP bereits aufgefordert, sich auch dem Bundesrat zurückzuziehen, um den Weg für eine Grüne Regierungsbeteiligung freizumachen.

Auch französischsprachige Schweiz wählte Blocher

Für Aufsehen sorgte am Sonntag jedenfalls die Tatsache, dass die bisher vor allem in der Deutschschweiz populäre SVP - die in der französischsprachigen Schweiz (Romandie) unter dem Namen Union Democratique du Centre (UDC) antrat, und ihre dortigen Strukturen gerade erst aufgebaut hatte - in der Westschweiz deutliche zulegte und so zur "gesamtschweizerischen Partei" wurde.