Belgrad - Die serbische Hauptstadt Belgrad stand nach dem Mordanschlag auf Zoran Djindjic unter Schock. Die beiden tödlichen Schüsse auf den 50-Jährigen trafen auch die Erneuerung Serbiens nach dem Sturz des Regimes von Slobodan Milosevic ins Mark.
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"Ich war naiv. Ich hatte geglaubt, dass neue Anschläge im Stile von Milosevic nicht mehr möglich sind", hatte Djindjic noch im Februar erklärt, nachdem ein versuchter Anschlag mit einem LKW auf seine Autokolonne gescheitert war. "Wenn die Attentäter geglaubt haben sollten, die Zeiten von Milosevic könnten sich wiederholen, dann haben sie sich gründlich geirrt. Sie werden es am eigenen Leib erfahren", drohte er. Doch nun haben seine Gegner ihre Anschlagspläne verwirklicht.
Djindjic war ein Mann der politischen Konfrontation, der nach langem vergeblichen Widerstand Milosevic erfolgreich die Stirn bot und dann zum "Macher" des neuen Serbien wurde. Er verdrängte bald auch serbische Nationalisten aus den Reihen der früheren Opposition und politische Konkurrenten aus Kreisen der Wirtschaftsreformer. Mit großem politischen Geschick stellte er den nationalkonservativen jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica und seine Anhänger kalt. Dabei wehrte er sich wiederholt gegen Beschuldigungen, in die serbische Mafia verstrickt zu sein.
Die erbittertsten Feinde hatte Djindjic aber unter den Politikern und Offizieren des alten Regimes, die vom UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag angeklagt sind. Unter der politischen Führung von Djindjic war die Polizei gegen Milosevic vorgegangen und hatte ihn an das Tribunal ausgeliefert. Erst am Mittwoch hatten Medien berichtet, der Ministerpräsident wolle eine ganze Gruppe weiterer Armee-, Polizei- und Milizenführer an das Tribunal in Den Haag überstellen.
Oft hat Djindjic gesagt, er sei bereit, allein die ganze Last und Verantwortung für alles zu übernehmen, was er für ein modernes, in die Völkergemeinschaft integriertes und demokratisches Serbien tun könne. Im Kampf mit seinen Gegnern griff er zuletzt aber auch selbst vermehrt zu undemokratischen Methoden, auf die westliche Diplomaten mit Stirnrunzeln reagierten. Immer mehr schnitt er das ganze politische System auf sich und seine Gefolgsleute zu, um zeitweise nur mit Verordnungen zu regieren, die keine Zustimmung des Parlaments mehr brauchten. Sein Tod hinterlässt ein politisches Vakuum in der serbischen Politik, ohne dass zunächst klar ist, wer seine Rolle übernehmen könnte.
"Djindjic stand wie kein zweiter für Erneuerung, für die Rückkehr Serbiens in die Staatengemeinschaft. Diese Entwicklung hat jetzt einen deutlichen Rückschlag erlitten", sagte Marie-Janine Calic von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. "Auch wenn Serbien und Montenegro jetzt nicht im Chaos versinken werden - die ohnehin schleppenden Reformen sind jetzt noch weiter gebremst."