Die gestärkte türkische Regierung wird es der EU in den Verhandlungen nicht einfach machen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Brüssel. Der Kommentar fiel knapp aus - nichtssagend war er dennoch nicht. Dass die EU-Kommission nämlich zunächst einmal die hohe Bürgerbeteiligung bei der Parlamentswahl in der Türkei lobte, ist zumindest ein Hinweis auf die Unsicherheit, die das Ergebnis des Votums ausgelöst hat. Zwar zeigten sich EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und der für Erweiterungsverhandlungen zuständige Kommissar Johannes Hahn erfreut darüber, dass knapp 90 Prozent der Türken zu den Urnen gegangen waren und damit ihre Unterstützung für die "demokratischen Prozesse" bezeugt hätten. Auch eine Ankündigung der Zusammenarbeit mit der künftigen Regierung in Ankara beinhaltete die Erklärung der beiden Politiker. Doch für die üblichen Glückwünsche für den Wahlsieger war es kurz nach dem Votum noch zu früh.
Wie sich diese Kooperation mit der Beitrittskandidatin Türkei gestalten wird, kann in den EU-Institutionen aber auch noch nicht beantwortet werden. Einerseits sind die Gesprächspartner, das Kabinett der bisher - und auch künftig - regierenden Partei AKP mit ihren islamischen Wurzeln sowie der mächtige Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, bereits bekannt. Doch ihre durch den Wahlausgang gestärkte Position könnte die Verhandlungen mit der Union noch schwieriger machen, als sie es sowieso schon waren. An mangelndem Selbstbewusstsein fehlte es den AKP-Politikern freilich auch bisher nicht. Den Europäern, von denen etliche einer möglichen Mitgliedschaft der Türkei in der EU mit Skepsis begegnen, gaben sie zu verstehen, dass sie sich nicht um jeden Preis um eine Aufnahme in die Gemeinschaft bemühen werden. Die Beitrittsgespräche stockten immer wieder, einige Kapitel daraus sind blockiert, unter anderem wegen der Einwände des geteilten Zyperns, in dessen Norden tausende türkische Soldaten stationiert sind. Die Annäherung an die EU ist Ankara offiziell zwar weiterhin ein Anliegen, doch haben dort die Plädoyers dafür viel an Kraft eingebüßt. Vehementer setzt sich da so mancher Politiker für die Abschaffung der Visumspflicht für seine Landsleute ein.
EU-Bericht am Donnerstag
Allerdings hat in den vergangenen Wochen ausgerechnet die Flüchtlingskrise neue Dynamik in die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei gebracht. Denn nicht zuletzt bei der Sicherung ihrer Außengrenzen ist die Union auf ihre Nachbarin angewiesen. Und um die Zusammenarbeit zu gewährleisten, ist die EU zu Zugeständnissen bereit. Ein von der EU-Kommission ausgearbeiteter Aktionsplan, dem die Staats- und Regierungschef zugestimmt haben, stellt Ankara eine Beschleunigung des Prozesses zur Visaliberalisierung ebenso in Aussicht wie die Weiterführung der Beitrittsverhandlungen "mit neuer Energie". Außerdem soll es zusätzliche Finanzhilfen zur Versorgung der rund zwei Millionen Menschen geben, die aus Syrien in die Türkei geflüchtet sind. Umgekehrt fordert Brüssel die Umsetzung eines Abkommens zur Rücknahme von Schutzsuchenden, die in der Union keine Chance auf Asyl haben.
Doch wurden auch schon Vorwürfe laut, dass die EU, getrieben von der Flüchtlingskrise, der Türkei zu weit entgegenkomme. Immerhin gibt es nach wie vor Bedenken, ob die Beitrittskandidatin mit der geforderten Ernsthaftigkeit politische und gesellschaftliche Reformen umsetzt. Sie kommen in den Fortschrittsberichten zum Ausdruck, die die EU-Kommission üblicherweise Mitte Oktober publiziert. Dieses Mal jedoch verschob die Behörde mit Präsident Jean-Claude Juncker an der Spitze die Veröffentlichung auf einen Zeitpunkt nach dem Votum in der Türkei - was ihr Kritik aus dem EU-Parlament sowie von einigen nicht-staatlichen Organisationen einbrachte.
Mittlerweile ist der Termin fixiert, an dem die Fortschrittsberichte - sie betreffen auch die Kandidatenländer des Westbalkan - präsentiert werden. Am Donnerstag will Kommissar Hahn die Dokumente vorstellen. Es geht dabei auch um die Glaubwürdigkeit der EU, die sonst immer wieder darauf gepocht hat, dass die Türkei demokratische Rechte von Minderheiten oder Medienschaffenden, die Meinungsfreiheit oder Gleichberechtigung von Männern und Frauen wahrt.
Erdogans Partei wiederum müsste beweisen, dass sie es ebenso ernst mit ihren Zusagen meint. Denn auch in den kommenden Jahren wird sie als Alleinregierung die Verantwortung dafür tragen.