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Ginge es nach den Wünschen Belgrads, so müsste der Straßburger Europarat schon im September Serbien in seine Reihen aufnehmen. Sozusagen als ersten Schritt auf dem Wege in die europäischen Institutionen.
Dass dieser Weg aber mit einigen Hindernissen bestückt ist, das hat kürzlich Peter Schieder (SP) in seiner Eigenschaft als Präsident der Beratenden Versammlung des Europarates den Machthabern an Save und Donau klar zu machen versucht. Insgesamt sind es 31 Voraussetzungen, an deren Erfüllung eine Mitgliedschaft in dieser ältesten europäischen Institution gebunden ist. Einige von ihnen müssen schon vor der Aufnahme in sie erfüllt sein. Darunter solche wie das Aufspüren der 16 noch vom Kriegsverbrecher-Tribunal in Serbien gesuchten Angeklagten sowie deren Verhaftung und Auslieferung nach Den Haag. Und überhaupt: dass die Regierung in Belgrad die Zusammenarbeit mit dem Tribunal intensiviert, wozu auch gehört, dass sie ihre Archive, auch die militärischen, dem Gerichtshof zugänglich macht. Man muss sich nur des Hin und Her zwischen den serbischen und den "jugoslawischen" Institutionen und Funktionären erinnern, das den bisherigen Verhaftungen und Auslieferungen an das Haager Tribunal vorausging - einschließlich des Konfliktes zwischen dem serbischen Regierungschef Zoran Djindjic und dem jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica. Dann kann man ermessen, wie viel innerpolitischer Sprengstoff allein in dieser "Voraussetzung" für den Beitritt Serbiens zum Europarat liegt.
Aber das ist nicht das einzig mögliche Hindernis für die geplante Annäherung Serbiens an Europa. Es geht ja dabei nicht allein um Serbien, es geht auch um die staatliche Verbindung Serbien-Montenegro. Mit der bisherigen "Bundesrepublik Jugoslawien" ist ja kein Staat mehr zu machen, nachdem sich die Regierungen in Belgrad und in Podgorica unter dem Druck der EU zu einer neuen staatlichen Verbindung entschlossen haben. Wie diese heißen soll, ist noch unklar, aber Schieder hat gesagt, der Name sei nicht so wichtig. Wichtig aber ist ihre Konstruktion und von der ist man noch weit entfernt. Es existiert zwar eine 27köpfige Kommission, die die "povelja", also das Grundgesetz des neuen staatlichen Gebildes, ausarbeiten soll, aber ihre Mitglieder können sich laut Djindjic, "nicht einmal über einen Speisezettel einigen". Es wird also einigermaßen schwierig sein, bis zum September diese so wichtige Basis für den neuen Staat zu schaffen.
Sind aber Serbien und Montenegro, abgesehen von diesem Hindernis, reif für die Mitgliedschaft in einer europäischen Institution? In seiner Eigenschaft als jugoslawischer Präsident setzt Kostunica den Generalstabschef Nebojsa Pavkovic ab. Dieser weigert sich zunächst, zurückzutreten, weil, wie er sagt, nicht Kostunica sondern nur der Oberste Verteidigungsrat ihn abberufen könne, dieser sich aber nicht geäußert habe. Schließlich muss er sich aber doch fügen, weil er nicht die Unterstützung der gesamten Generalität hat. Er rächt sich jedoch, indem er öffentlich behauptet, vor Jahresfrist habe das Büro Kostunicas der Armee die Anordnung gegeben, in Djindjics Büro für öffentliche Kontakte einzudringen, weil von dort das Präsidentenbüro abgehört werde.
Ein weiterer Hinweis auf die gespannte innerpolitische Situation in Belgrad: Innenminister Dusan Mihajlovic behauptet vor der Öffentlichkeit, die Mafia greife in Serbien immer mehr um sich und plane einen Mordanschlag auf den Koordinator des regierenden Parteien-Bündnisses DOS, Cedo Jovanovic. Worauf der "jugoslawische" Innenminister Zoran Zivkovic erwidert, in Serbien gebe es überhaupt keine Mafia.
Das alles spielt sich vor dem Hintergrund einer Situation ab, die dadurch gekennzeichnet ist, dass innerhalb der letzten fünf Jahre in Serbien sieben hohe Polizeioffiziere Mordanschlägen zum Opfer gefallen sind, zuletzt vor einigen Wochen der Polizeigeneral Bosko Buha. Und dass in keinem einigen Falle die Täter oder Hintermänner gefasst werden konnten.
Nimmt man noch hinzu, dass seit der Entführung des früheren serbischen Parteichefs und Republikpräsidenten Ivan Stambolic Ende August zwei Jahre vergangen sein werden, ohne dass die Familie auch nur den geringsten Hinweis auf sein Verschwinden erhalten hat, dann versteht man, wenn Stojan Cerovic einer der führenden serbischen Publizisten die Lage in seinem Lande mit folgenden Worten beschreibt: "Das ist noch immer ein Land der Verschwörungen, der Intrigen, der geheimen Absprachen und des gelegentlichen Aufruhrs, in dem niemand niemandem vertraut, nicht seinem Wort, nicht seiner Unterschrift".
Der Journalist Wolfgang Libal ist Autor mehrerer Bücher, zuletzt:"Zeuge am Zaum der Zeit - von Masaryk bis Milosevic", Literas Universitätsverlag.