)
Jerusalems Totalwiderstand gegen das Iran-Abkommen ist gescheitert.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Jerusalem. Das Plakat klang zu unglaublich, um wahr zu sein: "Iranische Botschaft in Israel - baldige Eröffnung", darunter die in Freundschaft überkreuzten Landesfahnen der beiden verfeindeten Staaten. Seit Ende August hing das überdimensionale Plakat an einer Hausfassade am zentralen Rabin-Platz in Tel Aviv. Erst nach einigen Tagen klärte sich das Rätsel: Das Plakat warb für eine israelische Filmkomödie mit dem sinnigen Titel "Atomic Falafel", in dem zwei Mädchen aus Israel und dem Iran auf Facebook Falafel-Rezepte austauschen und damit einen Atomkrieg zwischen den beiden Ländern verhindern.
Eine PR-Kampagne also - und dennoch war das Plakat das auffälligste Zeichen von so etwas wie einer öffentlichen Diskussion in Israel über das Abkommen zum iranischen Atomprogramm, das die Westmächte mit dem schiitischen Gottesstaat geschlossen haben und das mittlerweile auch der US-Kongress nicht mehr ins Wanken bringen kann: US-Präsident Barack Obama hat - dank der vor wenigen Tagen erklärten Zustimmung der Senatorin Barbara Mikulski - genügend Rückhalt, um eine Ablehnung des Abkommens durch den republikanisch dominierten Kongress notfalls mit einem Veto zu durchbrechen.
Für Israels Premierminister Benjamin Netanjahu bedeutete Mikulskis Zustimmung das endgültige Scheitern seiner Kampagne. Netanjahu hätte für eine Verhinderung des Abkommens auch eine nachhaltige Verstimmung im Verhältnis zu Obama in Kauf genommen. Ein Kurswechsel ist in Jerusalem jedoch nicht in Sicht: Anstatt auf den Kongress will Netanjahu den Fokus nun auf das amerikanische Volk richten. "Eine Mehrheit der Amerikaner anerkennt wie wir die Gefahr, die vom Iran ausgeht", verkündete er am Tag nach Mikulskis Erklärung.
Netanjahu hat innenpolitisch kaum Kritik zu befürchten
Das Erstaunliche: Kritik für sein Scheitern hat Netanjahu in Israel kaum zu befürchten. Oppositionschef Yitzhak Herzog warf seinem Widersacher zwar ein Versagen in der Strategie vor, in der Sache vollzog er jedoch den Schulterschluss mit dem Regierungschef. Keine Handbreite passe zwischen ihre Positionen, versicherte Herzog, und die übrigen jüdischen Parteien, ob innerhalb oder außerhalb des Kabinetts, taten es ihm gleich. Es gab weder eine Anhörung in den parlamentarischen Kommissionen noch eine ernsthafte öffentliche politische Auseinandersetzung. Und wenn der US-Kongress voraussichtlich am 17. September über das Abkommen abstimmen wird, wird die Knesset dazu schweigen: Wegen des jüdischen Neujahrsfestes sind dann Parlamentsferien.
Dabei sind durchaus Stimmen vorhanden, die einen notwendigen Diskurs hätten begleiten können. Armeechef Gabi Eizenkot veröffentlichte - als Reaktion auf wachsende Forderungen von Politik und Zivilgesellschaft nach mehr Transparenz - im August ein 30-seitiges Strategiepapier zur zukünftigen Rolle der israelischen Militärkräfte (IDF). Es stellt einen Ausblick auf die bedeutendsten Sicherheitsaufgaben der Armee in den kommenden fünf Jahren dar. Als zentrale Bedrohungen werden Cyber-Attacken und die andauernde Terrorgefahr durch nichtstaatliche radikale Milizen wie Hamas, Hizbollah oder einzelne sich zum "Islamischen Staat" (IS) bekennende Zellen genannt - nicht jedoch iranische Nuklearambitionen.
Zwar wird der Staat der Mullahs als Unterstützer der genannten islamistischen Gruppen erwähnt, allerdings nicht als direkte Bedrohung eingestuft. Vielsagend ist der Passus zur Entscheidungshoheit über das Militär: Der Politik wird die Führung der Armee gestattet - allerdings im "Dialog" und durch "gemeinsame Überlegungen" mit dem militärischen Oberbefehlshaber Eizenkot.
Dessen Doktrin lässt vermuten, dass zumindest die Militärspitze das Iran-Abkommen akzeptiert und mittelfristig die Nuklearpläne Teherans als verschmerzbar hinnimmt. Damit steht Eizenkot nicht allein: Außerhalb der politischen Arena hat sich in den vergangenen Wochen Prominenz aus dem Sicherheitsapparat in der israelischen Öffentlichkeit gemeldet, die dem Abkommen einiges abgewinnen kann.
"Chance für Stabilität für die nächsten zehn bis 15 Jahre"
Efraim Halevy, der frühere Leiter des israelischen Auslandgeheimdienstes Mossad, verwies in einem Gastartikel darauf, dass die wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen, die auf den Iran als Terrorsponsor zielen (beispielsweise im Finanzverkehr), von dem Abkommen ausgeklammert bleiben. Die Totalopposition der israelischen Regierung bezeichnete er als "lächerlich", das Abkommen hingegen als Chance für Stabilität für ganze zehn bis 15 Jahre - "eine Ewigkeit" im Nahen Osten. Israel solle die Gelegenheit nutzen und über die Frage nachsinnen, was besser sei - gescheiterte Verhandlungen und kein Abkommen oder Konzessionen Teherans in Fragen, die für Israels Sicherheit "zentral" seien.
Fast euphorisch äußerte sich Uzi Even, früherer Wissenschafter mit Armeekarriere an der israelischen Nuklearanlage in Dimona: Er dankte öffentlich Präsident Obama für das Abkommen, das "jeden Pfad zur Bombe blockiert." Den beiden zur Seite stellen sich, per offenem Brief, dutzende ehemals ranghohe Militärs, Geheimdienstler, Diplomaten und Experten für Atomenergie.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich frühere Militärstrategen kritisch zur Sicherheitspolitik äußern. Zur Besatzung der Palästinensergebiete forderten ehemalige Geheimdienstchefs wie Meir Dagan oder Yuval Diskin bereits mehrfach öffentlich einen israelischen Rückzug, ohne auf Resonanz zu stoßen. Die politische Opposition ist ihnen dabei keine Hilfe: Ob zur Siedlungspolitik, zum Atomprogramm Teherans oder zu den Gaza-Kriegen - weder Yitzhak Herzog noch Yair Lapid von der Zukunftspartei oder andere jüdische Oppositionsführer links der Mitte haben in den vergangenen Jahren spürbare Alternativen zum außenpolitischen Kurs der Ära Netanjahu verfochten. Das Einzige, was sie dem Premier mit deutlichen Worten vorwerfen, ist die Zerrüttung des israelisch-amerikanischen Verhältnisses.
Israels Premier setzt schon auf künftigen US-Präsidenten
Zumindest hier eröffnet sich der zaudernden Opposition eine Möglichkeit, Distanz zum Regierungschef zu markieren, ohne inhaltlich von ihm abzurücken und eine außenpolitisch kompromissbereitere Position einnehmen zu müssen. Denn die Konfrontation mit Obama dürfte Netanjahu auch zukünftig in Kauf nehmen: Die Gewissheit, dass Iran ein Feind Amerikas bleibe, müsse in die öffentliche Meinung der USA "eingeträufelt" werden, sagte er - und zwar auf die nächsten Jahre hinaus. Damit machte Netanjahu deutlich, dass er bereits das nahende Ende von Obamas Präsidentschaft im Blick hat. Und darauf hofft, dass sich mit dessen Nachfolger das Iran-Abkommen umstoßen lässt.