EZB-Chef Mario Draghi gilt als geldpolitischer Superheld. Doch was dem verschuldeten Süden hilft, löst Argwohn im reichen Norden aus. Zudem besteht die Gefahr, dass das riesige Lockerungspaket der Zentralbank in vielen Bereichen verpufft.
Frankfurt. Als Retter der Eurozone gilt Mario Draghi spätestens seit dem Sommer 2012. Damals drohte der gemeinsame Währungsraum auseinanderzubrechen, mit Spanien und Italien schafften es gleich zwei zentrale Euro-Länder nicht, die Investoren zu überzeugen, ihnen zu vertretbaren Konditionen Geld zu borgen. Wenige Worte des Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) reichten jedoch, um die Spekulanten, die gegen die Euro-Sorgenkinder gewettet hatten, in die Schranken zu weisen. Die EZB werde "alles tun, um den Euro zu retten", sagte Draghi.
Seinen Ruf als geldpolitischer Magier dürfte der 66-jährige Italiener mit den unkonventionellen Maßnahmen, die nach der Zinssitzung am Donnerstag verkündet wurden, weiter gefestigt haben. Neben der neuerlichen Absenkung des Leitzinssatzes von 0,25 auf 0,15 Prozent hatte das EZB-Direktorium unter anderem Kreditlinien für Banken im Volumen von 400 Milliarden Euro beschlossen, um die Kreditklemme in den südlichen Peripherieländern aufzubrechen und die Gefahr einer Deflation zu bekämpfen. Darüber hinaus wird es auch erstmals in der Geschichte einer großen Notenbank Strafzinsen für Institute geben, die ihr Geld lieber im sicheren EZB-Hafen parken, als es in Form von Krediten an Unternehmen weiterzugeben.
Warnung vor Blasenbildung
Doch die Bewunderung, die Draghi aufgrund seiner Entschlossenheit vielfach entgegengebracht wird, kann über eines nicht hinwegtäuschen. Beim Versuch, den gesamten Währungsraum unter einen Hut zu bringen, muss die EZB schon fast zwangsläufig scheitern. Denn während die neue Milliardenflut den hochverschuldeten Ländern durchaus dabei hilft, ihre Haushalte durch die geringe Zinslast zu konsolidieren, hat Draghi den reichen Ländern Nord- und Mitteleuropas mit seinem Paukenschlag nur bedingt einen Gefallen getan. "Der Zinsschritt wird nicht allen Staaten gleichmäßig dienen", sagt auch Österreichs Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl.
Staaten wie Deutschland oder Österreich, deren Wachstumsraten 2014 und 2015 laut EU-Kommission über 1,6 Prozent liegen werden, würden nämlich durchaus höhere Zinsen vertragen. Vor allem in Deutschland warnen Ökonomen wie Oliver Holtemöller vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle bereits vor Blasenbildungen durch das billige Geld. Zu spüren ist das bereits ansatzweise am Immobilienmarkt, der immer dann anzieht, wenn der reale Zins für längere Zeit unter dem realen Wirtschaftswachstum liegt. In vielen deutschen und österreichischen Städten sind die Preise für Wohnungen und Häusern in den vergangenen Jahren regelrecht explodiert. Ähnliches lässt sich auch im Nicht-Euro-Land Großbritannien beobachten, wo der Leitzins trotz der brummenden Wirtschaft noch immer auf dem historischen Tiefstwert von 0,5 Prozent liegt.
Die neuerliche Zinssenkung liegt zudem den Sparern im Magen, die um die Erträge ihrer Ansparpläne oder ihrer Pensionsvorsorge fürchten. Bereits jetzt warnen die Handelsverbände, dass dieses Klima der Unsicherheit auch auf die Kauflaune der Konsumenten durchschlagen könnte. Kaum positive Effekte dürfte Draghis neuerliche "dicke Bertha" auch für die Unternehmen in den vergleichsweise gut dastehenden Eurostaaten haben. In Deutschland und Österreich gibt es im Gegensatz zu den Ländern im Süden kaum Probleme, an Darlehen zu kommen. "Draghi darf Forderungen nach einer immer expansiveren Geldpolitik nicht ständig nachkommen", mahnt Alexander Krüger, Chefökonom beim Bankhaus Lampe. Es sei nicht Aufgabe der EZB, ihre Geldpolitik auf die Bedürfnisse einzelner Länder zuzuschneiden. Ein wenig Stimmung in diese Richtung macht auch schon der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble. "Auf Dauer ist dieses Zinsniveau keine Lösung", sagte Schäuble, der durch das billige Geld ein Erlahmen der Reformbemühungen im Süden befürchtet.
Euro zeigt sich unbeeindruckt
Wie schwierig die geldpolitische Maschine mit ihren unzähligen Stellschrauben zu bedienen ist, wird aber nicht nur durch die Kritik aus den reichen Ländern deutlich. Denn auch wenn die EZB aufgrund ihres Mandats vor allem die Preisstabilität im Fokus haben muss, so war es doch ein offenes Geheimnis, dass die Währungshüter mit ihrem komplexen Maßnahmenbündel auch auf eine Schwächung des Euro abzielten. Die Stärke der Gemeinschaftswährung hatte es exportorientierten Unternehmen zuletzt schwer gemacht, ihre Produkte außerhalb der Union zu verkaufen, die niedrigen Importpreise drückten gleichzeitig die Inflation.
Doch die Zinssenkung und der Strafzins hat den Anlegern nur kurz die Lust auf den Euro verdorben. Nachdem die Gemeinschaftswährung am Donnerstag auf ein Vier-Monats-Tief von 1,3504 Dollar gefallen war, notierte sie am Freitag in der Spitze wieder bei 1,3665 Dollar. Dass die EZB-Radikalkur in diesem Bereich dermaßen verpufft ist, hat nach Einschätzung von Analysten vor allem damit zu tun, dass Draghi kein Wertpapier-Ankaufprogramm nach dem Vorbild der US-Notenbank angekündigt hat. Bis vor kurzem hatte die Fed mit dem sogenannten Quantitative Easing monatlich 85 Milliarden Dollar ins Finanzsystem gepumpt. Um die Märkte zu bewegen, muss Draghi also offensichtlich zu noch drastischeren Mitteln greifen.