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Schwindler nutzen den .eu-Rausch

Von Thomas Meier

Wirtschaft

Kampf um die neuen Domänen. | EU-Kommission ist untätig geblieben. | Brüssel. Die Zeit der großen Räusche ist noch nicht vorbei. Der nächste beginnt genau heute. Hunderttausende EU-Bürger stürzen sich ab heute, Freitag, auf Internetadressen mit der neuen EU-weiten Endung .eu. Dabei mischen Betrüger kräftig mit. Bereits 95 Prozent der wertvollen Internetadressen wie etwa casino.eu oder travel.eu sind in den Händen von Markenschwindler.


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Legaler Schwindel

Das war eigentlich nicht die Absicht der EU-Kommission. Denn in den ersten beiden Phasen der Vergabe der so genannten Domänen vom 7. Dezember 2005 bis 4. April 2006 hatten Bürger und Firmen, welche ein Recht auf einen Namen gelten machen konnten, das Vorrecht auf die entsprechenden Internetadressen. Dazu gehören etwa Siemens und der Deutsche Bundestag. Doch Betrüger nützten Schlupflöcher, um an wertvolle Adressen zu kommen: Sie hatten bereits im Vorfeld verschiedene Wörter als Marken registrieren lassen. So hat eine deutsche Firma, die angeblich Künstlerfarben verkauft, für ihre Farben Namen wie Domain, Hotel, und Provider als Marken schützen lassen. Dann wurde bei der europäischen Registrierungsbehörde Eurid (The European Registry of Internet Domain Names) die Reservierung der Domänen beantragt. Welche diese - erstaunlicherweise - in vielen Fällen genehmigte.

EU verschenkt Millionen

Die EU verschenkt damit ihr Tafelsilber. Nach Schätzungen von Internetbewertern sind Internetadressen im Wert von insgesamt 100 Millionen Euro in die Hände von Markenschwindlern gekommen. Denn die rund 2000 wichtigsten Domänennamen sind wertvoll: Sie erscheinen in den Suchmaschinen weit vorne und sind somit ein gutes Marketinginstrument für ihre Besitzer. So wechselte vor einigen Jahren die Domäne sex.com zu einem Rekordpreis von 12 Millionen Dollar (rund 10 Millionen Euro) ihren Besitzer. Und .eu könnte zur wichtigsten Internetendung der Welt werden: Denn die EU ist ein Wirtschaftsraum mit 460 Millionen Einwohnern und dem größten Bruttoinlandprodukt der Welt.

Bei der EU-Kommission und der Eurid sollten diese Fälle eigentlich bekannt sein. "Seit Beginn der ersten Registrierungs-Phase haben wir die Entwicklung beobachtet und die EU-Kommission und die Eurid auf mögliche Missbräuche aufmerksam gemacht", sagt Daniel Kollinger von der Adresshandelsbörse Nicit, die mit der Organisation eudomaindesaster.org auf die Missstände aufmerksam machen will. "Eine Antwort haben wir nicht erhalten." Am 20. März hat Kollinger eine Petition mit 400 Unterschriften im EU-Parlament eingereicht. Der deutsche SPD-Europaparlamentarier Andreas Schwab, stellvertretendes Mitglied des Petitionsausschusses, hat die Petition an die EU-Kommission weitergegeben.

"Es ist sehr wahrscheinlich, dass bei der Registrierung Missstände bestehen", sagt Schwab. "Diese müssen nun von der Kommission überprüft werden." Die Kommission erklärt jedoch auf Anfrage, sie habe keine Petition oder Anfragen von eudomaindesaster.org erhalten.

Die Zeit drängt

Die Behörde Eurid und der mit der Überprüfung beauftragte Consulter PriceWaterhouseCoopers befolgen formalistisch ihre Regeln. Die EU-Kommission erklärt denn auch, dass die Ausschreibung nicht wiederholt werden könne. Einmal zugesprochene Internetadressen können nur entzogen werden, wenn jemand vor Gericht zieht. Sowieso sei bald zu spät, so heißt es aus Brüssel. Ab heute werden die Internetadressen öffentlich vergeben und die Devise lautet: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Dabei sind weitere Missbräuche zu erwarten. Registrare, welche gegen eine Gebühr für ihre Kunden bei der Eurid Domänennamen reservieren, könnten Internetadressen für sich selbst reservieren und weiterverkaufen. Und wieder schaut die Kommission weg. Sie könne der Registrierungsbehörde nicht vorschreiben, Registrare nur aufgrund von Verdächtigungen von der Ausschreibung auszuschließen. Doch überprüfen will die Kommission die Anschuldigungen auch nicht - und lässt damit die Einnahmen aus dem neuen Goldrausch vor ihren Augen in die Taschen von Schwindlern fließen.