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"Schwule Asylwerber haben panische Angst"

Von Eva Zelechowski

Asyl
"Ich kenne viele homosexuelle Asylwerber in Österreich. Das Problem ist, dass sie auch hier innerhalb ihrer Community mit Hass und Diskriminierung konfrontiert sind", sagt LGBT-Sprecher der Grünen, Marco Schreuder.
© Die Grünen Österreich

Marco Schreuder, LGBT-Sprecher der Grünen, über die verfahrene Lage von homosexuellen Asylwerbern.


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"Die sexuelle Ausrichtung ist ein so bedeutsames Merkmal für die Identität eines Menschen, dass er nicht gezwungen sollte, auf diese zu verzichten." Auf dieser Begründung basierend stellte der Europäische Gerichtshof im Oktober 2013 fest, dass Homosexuelle eine "soziale Gruppe" im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention seien. Zielten strafrechtliche Bestimmungen in einem Land speziell auf Homosexuelle ab, müssten sie daher als "soziale Gruppe" angesehen werden, "die von der umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird".

Wiener Zeitung: Wie schätzen Sie die Lage von homosexuellen Asylwerbern österreichweit und europaweit ein? Hat sich die Situation in den letzten Jahren verbessert?

Marco Schreuder: In vielen Staaten ist es durchaus umstritten, ob Menschen aus der LGBT-Community (Lesbian, Gay, Bi, Transgender, Anm. d. Red.) einer "sozialen Gruppe" angehören. Jetzt gibt es ein EuGH-Urteil, wonach Homosexualität ein Asylgrund ist. In Österreich hat es dieses Urteil im Grunde nicht gebraucht, weil das hier bereits galt. Allerdings ist es immer gut, wenn es diesbezüglich Rechtssicherheit gibt und Anwälte sich auf ein Rechtsurteil berufen können.

Kennen Sie Menschen, die in Österreich Asyl aufgrund ihrer Homosexualität erhalten haben?

Ja, vor allem aus dem Iran. Hier ist es auch besonders relevant, weil Homosexualität bei Männern unter Todesstrafe steht. Weibliche Homosexualität wird mit Peitschenhieben bestraft. In diesen Ländern werden häufig Unterschiede zwischen männlicher und weiblicher Homosexualität gemacht. Was bei uns auch vorkam, weil man Frauen in der patriarchalen Gesellschaft Sexualität ja überhaupt absprach. Es gibt auch Gesellschaften, wo nur der passive sexuelle Part strafbar ist. Die Bestrafungen reichen von der Todesstrafe über langjährige Haftstrafen bis zu Peitschenhieben – allen voran in der islamischen Welt und in Afrika. Deshalb ist Asyl auf dieser Basis sehr wichtig.

Das Problem beim EuGH-Urteil ist, dass Asyl erst dann gewährt wird, wenn die Freiheitsstrafen bereits tatsächlich verhängt wurden.

Das stimmt, das halte ich für einen großen Fehler dieses Urteils. Deshalb sollte Österreich in der Praxis großzügiger vorgehen. Vor allem bei Verhängung der Todesstrafe - etwa bei Männern aus dem Iran - ist es wichtig, sofort Asyl zu gewähren.

Vor Kurzem hat sich ein junger Armenier bei der "Wiener Zeitung" gemeldet, der bei der zehnstündigen Erstbefragung offenbar nicht glaubhaft bezeugen konnte, dass er homosexuell ist.

Das ist ein altes Problem. Ganz schrecklich ist man z.B. in Tschechien vorgegangen, wo im Rahmen sogenannter "Erektionstests" Flüchtlingen pornografische Bilder gezeigt wurden. Natürlich ist Homosexualität ist schwer zu beweisen. Viele homosexuelle Menschen fliehen vor Verfolgung und geben das nicht als Fluchtgrund an, weil das Thema in ihrer Gesellschaft stark tabuisiert ist. Die Zahl jener, die es verschweigen ist vermutlich höher, als jener, die vortäuschen, homosexuell zu sein, um Asyl zu bekommen.

Vor einem Jahr wurde etwa ein Fußballer der FC Sans Papier abgeschoben, der aus dem Norden Nigerias kommt, wo die Scharia gilt und heute die Boko Haram wütet. Er hat allerdings seine Homosexualität nicht als Asylgrund angegeben. Deshalb sollte man die Menschen dazu ermutigen.

Weshalb hat er es nicht erzählt?

Das weiß ich nicht, aber Asylwerber werden in Österreich meist mit Menschen aus ihrem Kulturkreis untergebracht. Die problematische Folge ist, dass sie denselben Unterdrückungs- und Ausgrenzungsmechanismen ausgesetzt sind wie in ihrer Heimat. Ich kenne Fälle von Männern, die aus Ländern kommen, in denen die Scharia gilt, und auch in Österreich panische Angst davor haben, ihre Homosexualität anzugeben. Sie fürchten Repressalien seitens der hier lebenden Familie. Diese Panik lässt sich gar nicht in Worte fassen.

In Armenien ist Homosexualität seit 2003 legal, allerdings gibt es keine Antidiskriminierungsgesetze. Der 20-jährige Armenier ist schwul und hat in Jerewan Gewalt, auch sexuelle Gewalt, in seinem direkten Umfeld erfahren. Toleranz und Akzeptanz kommt in einer Gesellschaft ja nicht über Nacht – mit der Entkriminalisierung von Homosexualität.

Genau. Ein weiteres großes Problem sind neben strafrechtlichen Verfolgungen auch jene, die aus Familienstrukturen heraus passieren. In Wien leben einige türkische Homosexuelle, denen eine Zwangsheirat droht. Stichwort "Ehrenmord": In der Türkei wurde z.B. ein Homosexueller von seinem Vater getötet. Wenn also in einem europäischen Land Homosexualität legal ist, heißt das nicht, dass man nicht verfolgt wird. Verfolgungen können auch in einem Familienverband organisiert sein.

Asylfälle werden ja im Einzelnen entschieden. Es gibt keine einheitlichen Regelungen. Politiker erklären, dass der "Schutz von bestimmten sozialen Gruppen bereits geregelt ist". Reicht das aus?

Völlig richtig. Und nein, das reicht nicht. Außerdem sind Richter und Beamte in den Entscheidungsprozess involviert, die mit den Lebensrealitäten von Homosexuellen überhaupt nicht vertraut sind. Ich würde es sehr begrüßen, wenn Spezialisten im Asylwesen tätig wären, die die Situation von Homosexuellen in den jeweiligen Ländern kennen.

Im Fall von Uganda froren die Weltbank und zahlreiche europäische (vor allem skandinavische Länder) Finanzierungen ein. Ist das die richtige Reaktion auf diskriminierende Systeme? Österreich hingegen "erwägt" diese Sanktionen erst. Wieso ist man da so zögerlich?

Das ist eine der schwierigsten Fragen überhaupt. Uganda ist ein Schwerpunkt der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. Ich habe bereits meinen Wunsch im Außenministerium deponiert: Projekte, bei denen Finanzierungsgelder direkt an die Regierungen fließen, eher zu unterbinden und vor Ort zu helfen. Man muss diesen Regierungen klar machen, dass ihre Gesetze inakzeptabel sind. Das Problem ist aber, dass sie Homosexualität als "dekadentes westliches Importprodukt" bezeichnen – vollkommen negierend, dass es in der gesamten Gesellschaft vorkommt. Hier stellt sich die Frage, ob Sanktionen die vorherrschende Kluft noch mehr verstärkt. Deshalb ist ein sofortiger Boykott schwierig.

EuGH-Urteil im Wortlaut.

Über Marco Schreuder:

2002 bis 2005 Menschrechtsreferent für Maria Vassilakou im Grünen Klub im Rathaus, 2005 bis 2010 Abgeordneter zum Wiener Landtag und Gemeinderat, mit Schwerpunkt Gesellschaftspolitik, Kulturpolitik und Internetpolitik. Zudem Mitglied des Kulturausschusses, der Tourismuskommission und der Europakommission sowie seit 2002 Sprecher der Grünen Andersrum. Aktuell Kommunikationsberater von Conchita Wurst.