Zum Hauptinhalt springen

Scotland Yards Ansehen auf Tiefpunkt

Von Oliver Lucazeau

Politik
Die Londoner Anschläge vom 7. Juli 2005 beschädigten das Ansehen von Scotland Yard nachhaltig. Foto: ap/J. Mingay

London ein Jahr nach den Anschlägen auf die U-Bahn. | Schwere Pannen bei Ermittlungen. | London. (afp) Insgesamt 56 Tote und nicht eine Festnahme, zwei weitere Fehlschläge im Kampf gegen den Terrorismus und offenbar im Sand verlaufende Ermittlungen: Ein Jahr nach den Londoner Anschlägen ist das Vertrauen der Briten in Scotland Yard erschüttert. Nicht nur, dass die vier Selbstmordattentäter am 7. Juli 2005 nicht daran gehindert werden konnten, mit ihren selbst gebauten Bomben 52 Menschen mit in den Tod zu reißen und Hunderte zu verletzen. Die Londoner Polizei musste vielmehr eingestehen, dass die Angriffe für sie "völlig aus dem Nichts" kamen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 18 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Und auch nach einem Jahr hat Scotland Yard nicht viel vorzuweisen: Es gab nach aktuellem Ermittlungsstand keine Komplizen, kein Terrornetzwerk, keine bewiesene Auslandsverbindung und auch keinen Einfluss irgendeines extremistischen Imams. Stattdessen zwei schwere Pannen im Kampf gegen den Terrorismus: Gut zwei Wochen nach den Anschlägen erschoss eine Eliteeinheit der Polizei den völlig unschuldigen Brasilianer Jean Charles de Menezes. Die Beamten hatten den 27-jährigen Elektriker irrtümlich für einen Terroristen gehalten. Berichte, wonach er sich verdächtig verhalten hatte, wurden später durch Videoaufzeichnungen eindeutgb widerlegt. Selbst Premierminister Tony Blair entschuldigte sich inzwischen für den tödlichen Fehler.

Nicht tödlich, aber mit einem offenbar unschuldig Verletzten endete auch die jüngste Großrazzia, die eigentlich ein harter Schlag gegen Terroristen werden sollte. Auf der Suche nach einer angeblich existierenden "schmutzigen Bombe" durchsuchten 250 Polizisten Anfang vergangenen Monats ein Haus im Osten Londons. Dabei wurde ein 23-jähriger Moslem angeschossen - Spuren einer wie auch immer gearteten Bombe fanden sich nicht. Grund dafür könnte sein, dass Scotland Yard nach Angaben aus internen Ermittlungskreisen möglicherweise einer Fehlinformation aufsaß: Der Hinweis auf die angebliche Bombenwerkstatt sei von einem einzigen Informanten gekommen, der einen Intelligenzquotienten von 69 aufweise.

Überhaupt scheint Scotland Yard angesichts des Erfolgsdrucks öfter vorschnell zu handeln. Der Generalsekretär der Moslems in Großbritannien, Muhammad Abdul Bari, wies vergangene Woche darauf hin, dass im Kampf gegen den Terror hunderte Moslems festgenommen worden seien und diese Festnahmen auch groß in den Medien verkündet wurden. "Die große Mehrheit von ihnen wurde aber nur wenige Tage später ganz still wieder freigelassen, ohne dass irgendeine Anklage erhoben wurde."

Dieser offenbar mangelnde Respekt der Polizei gegenüber den eigenen Landsleuten wird von vielen Briten kritisiert. "Unzählige psychologische Studien zeigen die Bedeutung des Umgangs der Polizei mit dem Normalbürger", sagt Jonathan Jackson, Professor für Kriminalistik. "Und wenn die Menschen denken, dass die Polizei ihnen nicht mit Respekt begegnet, dann vermindert das die Legitimität der Beamten."

Geradezu lächerlich wirkt dagegen die jüngste Scotland-Yard-Geschichte: Ein ranghoher Mitarbeiter der Antiterror-Abteilung verlor Ende Juni auf offener Straße seinen Rucksack. Darin fanden sich hochbrisante Informationen über mögliche Bombenanschläge und die Namen von observierten Verdächtigen. Der Rucksack geriet zum Glück nicht in die falschen Hände - das ohnehin lädierte Ansehen von Scotland Yard rutschte aber noch weiter in den Keller.