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Bildung(spolitik) ist irgendwie Wiederholung und die Forderungen im Bildungsbereich sind immer wieder dieselben: mehr Effektivität beim Einsatz von Mitteln – derzeit kommt nur jeder zweite Euro aus dem Bildungsbudget beim Schüler an - ; mehr Chancengleichheit; bessere Betreuungsangebote und nicht zuletzt eine effektiveres und herzeigbareres Bildungssystem.
Bei den Ausgaben liegt Österreich im OECD-Spitzenfeld. Bei den Pisa-Tests verhält es sich genau umgekehrt.
Österreich hat eine Bildungsreform dringend nötig. Etwa ein Viertel der 15-Jährigen kann nicht sinnerfassend lesen. Jährlich fallen circa acht Prozent der Jugendlichen nach Beendigung der Pflichtschule aus dem Bildungssystem. Das heiß, dass sie weder eine Oberstufenschule besuchen, noch eine Lehre machen. Für den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft hat das verheerende Folgen. Auf der einen Seite herrscht ein Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften. Auf der anderen Seite gibt es eine nicht kleine Gruppe von jungen Menschen, die keine Qualifikationen und damit keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat.
Am letzten Tag der Regierungsklausur in Schladming hat die Bundesregierung ein Sechs-Punkte-Programm vorgestellt, mit dem das Bildungsangebot im Land verbessert werden soll.
Beginnen bei den Kleinsten
Im Wesentlichen konzentrieren sich die Reformen auf die ganz Kleinen. Also auf den Übergang vom Kindergarten in die Volksschule, mehr Sprach- und Leseförderung, Ausbau der Ganztagsschule und mehr Autonomie für Schulen und Direktoren. Weitere Punkte im Programm: die tägliche Turnstunde, intensive Förderung für Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache, konkrete Qualitätsstandards für die Ganztagsschule und eine Bildungskommission, die all diese Maßnahmen evaluiert.
"Wir wollen bei den Kleinsten beginnen", sagt Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek im Rahmen der Pressekonferenz am Samstag. Volkschullehrer und Kindergartenpädagogen sollen enger zusammenarbeiten und das letzte Kindergartenjahr und die ersten beiden Volksschuljahre werden als eine gemeinsame "Schuleingangsphase" gestaltet.
So sieht das Programm vor, Kinder beim Schuleintritt nicht nur nach ihren Sprachfertigkeiten zu beurteilen, sondern auch deren kognitiven und sozialen Fähigkeiten zu berücksichtigen und entsprechend darauf einzugehen. Mit der Förderung so früh wie möglich zu beginnen, ist grundsätzlich gut und wichtig, denn Mängel können im höheren Alter nur sehr schwer und mit erheblichem Aufwand korrigiert werden.
Eine zentrale Rolle spielt im Sechs-Punkte-Plan der Ausbau der Ganztagsschulen. Derzeit gehen etwa 250.000 Schüler in eine ganztätige Schule oder in einen Hort. Bis zum Schuljahr 2016/2017 soll es für jedes dritte Kind einen Platz geben. Dafür nimmt die Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode 800 Millionen Euro in die Hand.
In der Ganztagsschule sehe man die Möglichkeit, die Chancengleichheit im Bildungsbereich zu verbessern. Und diese ist derzeit alles andere als groß. Die jüngste Bildungsstudie der OECD zeigt, dass in Österreich nur jedes dritte Kind einen höheren Bildungsabschluss als seine Eltern erreicht. Das bedeutet also, dass Bildung in einem besonders hohen Ausmaß vererbt wird und die Schule in ihrer derzeitigen Form nur wenig gegensteuern kann. Wenn die Kinder nun mehr Zeit in der Schule verbringen und die Zeit auch qualitativ genutzt wird, so wie es die Regierung verspricht, steigen ihre Chancen, die nächste oder übernächste Stufe im Bildungssystem zu erreichen.
Nein zur Gesamtschule wackelt
Eine andere Möglichkeit, die Chancengleichheit zu verbessern, wie zahlreiche Studien zeigen, ist die soziale Durchmischung. Also Kinder aus ärmeren oder weniger gebildeten Familien gehen mit Kindern aus reichen Akademikerfamilien in die Klasse, auch nach der Volksschule. Das war auf der Regierungsklausur aber kein Thema. Genauso wenig die Gruppe der 10- bis 15-Jährigen und die Gesamtschule.
Trotzdem ist die Stimmung hier anders als noch vor ein paar Monaten. Zumindest in der ÖVP. Auch wenn im neuen Papier kein Wort über eine gemeinsame Schule für 10- bis 15-Jährige verloren wird, scheint das grundsätzliche Nein, das aus der ÖVP dazu immer gekommen ist, zu wackeln. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner sagt im Rahmen der Klausur, dass man die Neue Mittelschule bis Jänner bewerten und danach gegebenenfalls entscheiden wolle, ob und in welcher Form es Modellversuche für eine Gesamtschule geben soll.
Was von der Regierung vorgesehen ist, ist mehr Autonomie für die Schulen. Künftig sollen Lehrer und Direktoren mitentscheiden können, ob sie Unterrichtseinheiten blocken und damit die 50-Minuten-Stunde teilweise aufheben oder wie sie Projekte und Reisen entsprechend der Bedürfnisse der Schüler besser gestalten. In dieser Autonomie liegt das Potenzial, besser auf die Bedürfnisse der einzelnen Kinder einzugehen, und gleichzeitig die Gefahr, es nicht zu tun. Denn Lehrer können sich auch irren. Das sieht man auch daran, dass Lehrerempfehlungen für das Gymnasium oft auf persönliche Einschätzungen beruhen und nicht auf der vom Kind tatsächlich erbrachten Leistung, wie eine Studie des Zentrums für Soziale Innovation zeigt.
Auf der Regierung lastet nun der Druck, dass diese Bildungsreform, die sie nun bei den ganz Kleinen ansiedelt, in Zukunft fruchten muss. Sie wird auch um eine Diskussion über den Bildungsweg der 10- bis 15-Jährigen und die Gesamtschule nicht herumkommen. Denn noch eine verlorene Generation von jungen, ganz schlecht ausgebildeten Menschen, die irgendwann in die Arbeitslosigkeit rutschen, kann sich das Land in Zeiten von schwacher Konjunktur und einer strauchelnden Wirtschaft nicht leisten.