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Sechs Milliarden Euro für Junge

Von Alexander Dworzak

Politik

EU-Arbeitsminister beraten über Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und forcieren duales Ausbildungssystem.


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Brüssel/Berlin/Wien. Wenn Angela Merkel ruft, kommen alle. Ursprünglich geplant als schmucklose "Konferenz zur Jugendbeschäftigung", bei der die EU-Arbeitsminister zusammen mit den Sozialpartnern und den Arbeitsagenturen Maßnahmen beraten, mutiert die heutige Konferenz in Berlin zu einem kleinen EU-Gipfel. 20 europäische Staats- und Regierungschefs haben sich angesagt, darunter Bundeskanzler Werner Faymann und der französische Staatspräsident François Hollande. Auch EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso und Ratspräsident Herman Van Rompuy werden nach Berlin kommen. Denn die Politik findet noch immer keine nachhaltigen Antworten auf die Wirtschaftskrise in Europa - und die Bevölkerung fordert diese immer nachdrücklicher ein.

Ein großer Wurf war auch das vergangene Woche beschlossene EU-Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit nicht. Sechs Milliarden Euro stehen für den Zeitraum 2014 bis 2020 für die am stärksten betroffenen Regionen des Südens zur Verfügung; im Gespräch ist aber auch, das Geld bereits in den kommenden beiden Jahren auszugeben - eine magere Bilanz angesichts des EU-Finanzrahmens von 960 Milliarden Euro für die kommenden sieben Jahre und der Tatsache, dass sechs von zehn Griechen unter 25 Jahren keinen Job finden. Noch vor fünf Jahren waren es vergleichsweise geringe 20 Prozent. Auch in den ebenfalls schwer von der Krise getroffenen Staaten Portugal, Italien und Spanien stieg die Arbeitslosenquote rasant (siehe Grafik rechts). "Die sechs Milliarden Hilfe sind ein Tropfen auf den heißen Stein. Notwendig wären in den kommenden beiden Jahren wohl zwischen 30 und 60 Milliarden Euro", sagt der Direktor des europäischen Think-Tank Bruegel, Guntram Wolff, gegenüber der "Wiener Zeitung".

Mittel schneller freigeben

Summen dieser Größenordnung stehen jedoch nicht zur Verfügung. Als kurzfristige Maßnahme plädiert Wolff dafür, bestehende Instrumente wie die Struktur- und Kohäsionsfonds der EU flexibler einzusetzen: "Die Kommission und das gesamte europäische System sind extrem langsam, diese Mittel zu verwenden. Wir müssen viel aggressiver vorgehen und EU-Mittel vorziehen. Es macht keinen Sinn, dieses Geld auf die lange Bank zu schieben", erklärt der deutsche Ökonom. EU-Regionalkommissar Johannes Hahn spielte in der Vergangenheit den Ball gerne wieder zurück an die Mitgliedsstaaten, die ihnen zustehende Mittel nicht ausschöpfen; auch weil die formalen Vorschriften für Projektanträge ungenügend erfüllt wurden. Wolff schlägt daher administrative Hilfe für die Krisen-Länder vor.

Weitere Förderungen sollen aus dem Europäischen Sozialfonds lukriert werden. Der ungarische EU-Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Integration, Laszlo Andor, will damit Lehrstellen und Praktika unterstützen: "Es muss aber auch sichergestellt werden, dass junge Menschen im Anschluss an ein solches Ausbildungsprogramm ein dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis finden."

Aber auch hier trifft man auf das altbekannte Problem der nur teilweise abgerufenen Förderungen: Von 517 Millionen Euro, die für Griechenland in einem Topf vorgesehen sind, flossen lediglich 193 Millionen in das Land, Spanien rief gar nur 58 Millionen der zur Verfügung stehenden 286 Millionen Euro ab. Andors Sprecher erklärte auf Anfrage der "Wiener Zeitung", dass EU-intern bereits Teams gebildet wurden, um die Förderungen in acht Ländern besser zu nutzen, darunter auch Spanien und Griechenland.

Mit der "Europäischen Ausbildungsallianz" lancierte Andor am Dienstag gemeinsam mit Bildungskommissarin Androulla Vassiliou eine weitere Initiative zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Dabei lobte die Kommission auch das "leistungsfähige Berufsbildungssystem" in Österreich, Deutschland, Dänemark und den Niederlanden; Jugendliche erlernen dabei nach Ende der Pflichtschule einen gesetzlich anerkannten Lehrberuf oder erwerben ihre berufliche Erstausbildung in Vollzeitschulen wie Handelsakademien.

Isoliert und hofiert

Der Sozialdemokrat Laszlo Andor pflegt ausgezeichnete Beziehungen zu Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ), in seinem Heimatland ist er seit der Machtübernahme des konservativ-populistischen Viktor Orbán aber zusehend isoliert. Die Allianz zwischen Andor und Hundstorfer hat für beide Seiten Vorteile: Die SPÖ, die seit dem Beitritt Österreichs zur EU 1995 noch nie einen Kommissar stellte - stets waren es ÖVP-Politiker -, hat einen wichtigen Ansprechpartner in der Kommission. Und Andor erhält durch die sozialdemokratische Unterstützung mehr Gewicht.

Dass das duale Ausbildungssystem Österreichs in Brüssel über den grünen Klee gelobt wird, liegt aber auch an der geringen Arbeitslosigkeit. Wie in Deutschland, das ebenfalls auf dieses Modell setzt, suchen weniger als zehn Prozent der Jugendlichen eine Stelle. Doch kann das System auch in anderen europäischen Ländern implementiert werden? Ja, lautet die Antwort von Bruegel-Direktor Wolff. Allerdings: "In Deutschland fußt die duale Ausbildung auf einer gewachsenen Struktur und erfordert enge Zusammenarbeit zwischen Staat und Unternehmen. Sie wurde im 19. Jahrhundert etabliert, wir sollten daher nicht erwarten, dass 2014 in Griechenland bereits alles klappt." Der Ökonom schlägt vor, parallel zum Aufbau des dualen Ausbildungssystems steuerliche Anreize für Unternehmen zur Lehrlingsausbildung zu schaffen.

Mit der Beschäftigungsgarantie für Jugendliche hat die EU im Februar eine Maßnahme aus Österreich übernommen - welche auch die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), eine Sonderorganisation der UNO, begrüßt. Zwischen 0,5 und 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts koste die Beschäftigungsgarantie pro Land, schätzt ILO-Volkswirtin Christina Wieser.

Pilotprojekte gestartet

Zurückhaltender als bei Bruegel ist man bei der ILO ob der Umsetzungsmöglichkeiten des dualen Ausbildungssystems: "Denn das Modell ist sehr auf die Struktur des Schulsystems ausgelegt, das in den europäischen Ländern stark divergiert", erklärt Wieser gegenüber der "Wiener Zeitung". Pilotprojekte gebe es aber bereits, darunter in Spanien und Irland. Und nachdem es in einigen Ländern schlicht an Unternehmen fehlt, welche Lehrlinge aufnehmen können, hofft die Internationale Arbeitsorganisation auf Unternehmensgründungen - die von der Europäischen Investitionsbank mit günstigen Krediten unterstützt werden.

Schlecht ist es aber nicht nur um Jugendarbeitslosigkeit in Europa bestellt, auch die wirtschaftliche Großwetterlage bleibt getrübt. "Die Sparpolitik versursacht mehr Probleme als sie löst", kritisiert ÖGB-Ökonom David Mum. Er schlägt im Einklang mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund vor, dass Einnahmen aus der geplanten Finanztransaktionssteuer auf Börsengeschäfte in einen Zukunftsfonds für die Jugend fließen. Bis zu 35 Milliarden Euro pro Jahr erwartet sich die EU von der neuen Steuer; elf Staaten werden sich daran beteiligen.

ILO-Volkswirtin Christina Wieser plädiert für mehr Wachstum und eine Abschwächung des Austeritätskurses. Und auch Bruegel-Direktor Wolff sieht die Lösung zu weniger Arbeitslosigkeit, nicht nur unter den Jungen, in einem Wachstumsprogramm: "Erstens muss das Bankensystem aufgeräumt werden, insbesondere in Spanien, Italien und Zentraleuropa. Zweitens gehört der Schuldenberg in Europa abgebaut. Die Inflationsrate im Euro-Raum muss konstant bei zwei Prozent bleiben, nicht nur bei 1,4 Prozent. Und die Geldpolitik muss noch aggressiver sein, um die Wirtschaft zu stimulieren." Fiskalpolitisch schlägt Wolff weitere Konsolidierungsmaßnahmen in den Krisenländern vor. Aber: "Nicht im Tempo Italiens unter Premier Mario Monti 2012. Das war zu viel für die Bürger."