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"Sechs verlorene Jahre"

Von Teresa Reiter

Politik

Londons Ex-Bürgermeister Ken Livingstone über Klimawandel, Thatcher und verfehlte Wohnbaupolitik.


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London. London kämpft seit vielen Jahren mit starker Luftverschmutzung. Auf der berühmten Oxford Street herrscht angeblich die niedrigste Luftqualität Europas und 2013 drohte die EU-Kommission den Briten sogar mit einer Strafzahlung, so die Stadt das Problem nicht in den Griff bekommt. Ken Livingstone war acht Jahre lang Bürgermeister der Weltstadt und gilt als Urgestein der Labour-Party. Seiner Meinung nach könnte London bis 2050 eine nachhaltige Stadt sein.

"Wiener Zeitung": London hat ein riesiges Problem bei seiner Müllentsorgung, speziell bei Verpackungsmüll. Auch das Konzept von Recycling hat sich nicht herumgesprochen. Es gibt eine riesige Verschwendung an Energie und Lebensmitteln. Wieso haben Sie die Hoffnung, dass London eines Tages eine vollkommen nachhaltige Stadt sein könnte?Ken Livingstone: Das Problem, das wir im Großteil der englischsprachigen Welt haben, ist, dass wir eine viel stärker ausgeprägte neoliberale Agenda haben, das Erbe von Thatcher oder Reagan. Die meisten europäischen Länder gingen damit nicht so weit. Sie haben sich angepasst und sind mit Dingen wie dem Klimawandel schon viel weiter als Großbritannien und die USA. Dennoch bin ich optimistisch, dass wir nächstes Jahr eine Labour-Regierung unter Ed Milliband haben werden, die, ungleich der gegenwärtigen konservativen Regierung, den Klimawandel zum essenziellen Thema der politischen Linie machen wird.

Wenn man den Tories zuhört, könnte man meinen, Umweltpolitik sei entweder ausschließlich etwas für Hippies oder ein Luxus, der am Ende der Prioritätenliste zu finden ist. Steht die Regierung dem Fortschritt, den London auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit machen könnte, im Weg?

Das wahre Problem ist, dass sowohl in Großbritannien als auch in den USA die Energiefirmen einen riesigen Einfluss auf die Politik haben. Diese Firmen möchten gerne so weitermachen wie bisher, obwohl das Endergebnis katastrophal wäre. Deshalb braucht man Politiker, die in der Lage sind, ihnen die Stirn zu bieten. Wir haben so etwas aber nicht. Wenn man sich die politische Lage etwa in Deutschland ansieht, dann gibt es dort viel mehr Konsens zwischen Politikern und Geschäftswelt. Wenn ein Konzern in Großbritannien den Politikern sagt, sie sollen springen, dann fragen die nur wie hoch.

Wie beurteilen Sie die Leistung des gegenwärtigen Bürgermeisters Boris Johnson hinsichtlich seiner Umweltpolitik?

Im Prinzip hat er allen Fortschritt, den wir zuvor auf diesem Gebiet gemacht haben, einfach gestoppt, sobald er die Wahlen gewonnen hatte. Wir haben so die letzten sechs Jahre verloren, in denen wir einen riesigen Schritt nach vorne tun hätten können. Teil des Problems ist, dass er ein Klimawandel-Leugner war, bis David Cameron ihm zu verstehen gab, dass er das nicht mehr öffentlich sagen kann. Er sagt immer: "Wenn es den Klimawandel wirklich gibt, dann gibt es nichts, was wir dagegen tun können. Wir sollten einfach das Leben genießen, bis es endet."

Sie sagten, Sie würden als Premier sofort ein Verbot von Plastiksackerln einführen...

Ja genau. Ich bin einer Welt aufgewachsen, in der man zum Einkaufen einfach eine Baumwolltasche genommen hat. Wenn man sich heute in unseren Supermärkten umschaut, ist einfach alles tausendmal verpackt. Die Müllkübel, die es vor 30 Jahren gab, waren nur etwa halb so groß wie die von heute. Für all die Dinge, die da weggeworfen werden, wurde Energie verbraucht, um sie zu machen. Wenn wir auf diesen Müll verzichten, dann bedeutet das nicht, dass wir ein elendes Leben führen müssen, um die Umwelt zu schützen.

Dinge wie Plastiksackerlverbot machen kleinen Unternehmen Angst...

Ja, aber wenn man dieses Plastik nicht gerade verbrennt und so in die Atmosphäre feuert, dann landen sie irgendwann im Ozean und zerstören dort kleine einzellige Tiere und Pflanzen und molekulieren sich in sie hinein. Größere Fische essen sie dann und dann essen wir diese Fische und am Ende haben wir diese Plastikmoleküle in unseren Körpern. Wer weiß was die Konsequenzen davon sein werden? Im nördlichen Pazifik gibt es diese Plastikinsel, tausende Quadratmeilen von schwimmendem Plastik.

Wie kann man den Menschen die Angst vor einem Verlust ihrer Lebensqualität durch ein umweltschonendes Leben nehmen?

Den Klimawandel zu bekämpfen schafft eine Menge Arbeitsplätze. Ein effizienteres Energiegewinnungssystem wäre arbeitskräfteintensiver. Es gäbe sehr viele Jobs für die Arbeiterklasse, deren Angehörige in den letzten 30 Jahren nicht gerade viele Jobmöglichkeiten hatten. Ich kenne einige der reichsten Leute der Welt und sie sind nicht besonders glücklich, denn es gibt immer irgendjemanden, der noch reicher ist. Was uns als Spezies definiert ist unsere Beziehung zu unseren Freunden und Nachbarn und der Umwelt. Ich bin glücklich, wenn ich nur mit meinem Hund spazieren gehe und dabei den Himmel und die Bäume in meinem Lieblingspark sehe. Ich würde nicht in ein extrem teures Restaurant gehen mit jemandem, der so schlecht drauf ist wie Rupert Murdoch.

Sie haben in Ihrer Zeit als Bürgermeister versucht, mehr Einfluss auf Wohnbaupolitik zu erhalten. Die Wohnungsmarktsituation in London ist elend und selbst Leute, die gut verdienen, kommen meist nur in irgendeinem Loch unter. Wie soll jemand sich für Umweltschutz interessieren, wenn er sich nicht einmal eine Wohnung leisten kann?

Bis Thatcher an die Macht kam, haben wir etwa hunderttausend bis hundertfünzigtausend neue Wohnungen im Jahr gebaut. Sie hat das gestoppt und beschämenderweise hat Tony Blair ihren Weg weiterverfolgt und jetzt haben wir eine riesige Wohnungsmarkt-Krise. Die gute Nachricht ist, dass Labour-Chef Ed Milliband entschlossen ist, hunderttausend neue Häuser und Wohnungen im Jahr zu bauen, sobald er die nächsten Wahlen im Mai gewonnen hat. Die Mieten werden runtergehen und die Leute werden endlich wieder die Chance haben, sich eine Wohnung leisten zu können.