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Seelenheil für Homosexuelle

Von Christa Karas

Wissen

Vor 36 Jahren in den USA aus der Liste psychischer Leiden gestrichen. | Nicht wenige Psychotherapeuten glauben aber immer noch an "Heilung". | London/Berlin/Wien. Jeder sechste britische Therapeut hat Schwulen und Lesben schon einmal angeboten, sie zur Heterosexualität zu bekehren oder ihre homosexuellen Gefühle zu verringern. In allen Fällen hatten die Patienten um Hilfe gebeten, weil sie mit dem sozialen Druck nicht zurecht kamen. Das ergab eine Studie mit mehr als 1400 Psychotherapeuten.


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Die Forscher der Studie hatten erwartet, dass sich solche Heilungsangebote auf die Vergangenheit beschränkten. Sie fanden aber heraus, dass sich die 400 bis 500 registrierten Fälle gleichmäßig über die vergangenen Jahrzehnte verteilten. Die Fälle seien nur die "Spitze des Eisbergs", sagte der Leiter der Studie, Michael King, Professor am University College London, der das Ausmaß als besorgniserregend bezeichnete. "Der Himmel weiß, was genau sie da tun. Wir haben erst gar nicht versucht, sie zu fragen, weil es keinen Beweis gibt, dass irgendetwas funktioniert."

Vor allem junge Menschen würden sich an einen Psychiater wenden, nachdem sie im Internet von Schikanen gegen Homosexuelle, erhöhter Depression und "heilenden" Therapien gelesen haben, sagte King. "Wenn der Therapeut nicht weise genug ist, zu sagen, dass dies ein Teil von ihnen und daran nichts krankhaft ist, mag er verleitet davon sein, ihn zu ändern. Stattdessen sollte der Therapeut sagen, dass es sehr bedauerlich ist, dass sie tyrannisiert werden, und dass er helfen kann, mit der Lage zurecht zu kommen und sie zu meistern."

Für Selbstbestimmung

Die britischen Therapeuten, die bekehren wollen, stehen freilich alles andere als allein da. Auch in Deutschland etwa gibt es Vertreter dieser Auffassung beziehungsweise Vereine wie "Wuestenstrom" von Markus Hoffmann, eines nach eigenen Angaben früher selbst homosexuellen Sozialarbeiters, und das Deutsche Institut für Jugend und Gesellschaft der Kinderärztin Christl Ruth Vonholdt.

Hoffmann und Vonholdt sind Referenten zum Thema "Sexuelle Identität" beim 6. Internationalen Kongress für Psychotherapie und Seelsorge, der vom 20. bis 24. Mai 2009 im deutschen Marburg stattfinden soll, was nun im Vorfeld einen derartigen Wirbel ausgelöst hat, dass sich der Veranstalter - die Akademie für Psychotherapie und Seelsorge e. V. - zu einer Initiative "Für Freiheit und Selbstbestimmung" gezwungen sah und mit einer Unterschriftenliste gegen die "totalitären Bestrebungen der Lesben- und Schwulenverbände" protestiert.

Diese üben dahingehend Druck aus, indem sie fordern, Hoffmann und Vonholdt nicht sprechen zu lassen. - Worin der Veranstalter einen Angriff auf fundamentale Freiheitsrechte sieht und erklärt hat: "Niemand bestreitet die Würde von Menschen mit homosexueller Orientierung und ihre persönliche Freiheit.. . Es gibt aber Menschen, die darunter leiden und therapeutische Hilfe suchen."

Als Ursache dafür wird genannt, dass "praktizierte Homosexualität ein erhebliches gesundheitliches und psychisches Risiko" in sich birgt: "Dazu zählen überdurchschnittliche Anfälligkeit für Aids, Geschlechtskrankheiten, Depression, Ängste, Substanzenmissbrauch (Alkohol, Medikamente und Drogen) und Suizidgefährdung." Hingegen bezeugten "international ausgewiesene Wissenschafter und klinische Therapeuten (u. a. Prof. Dr. Robert Spitzer, Columbia Universität, und die in der Organisation Narth vertretenen Therapeuten) mit ihrer Arbeit, dass Veränderung einer homosexuellen Neigung möglich ist."

Gegen Therapien

Genau dagegen hat sich bereits 1998 neben zahlreichen anderen Fachverbänden die American Psychiatric Association (APA) strikt ausgesprochen. Die Gesellschaft, die bereits im Jahr 1973 Homosexualität aus der Liste psychischer Erkrankungen gestrichen hatte und die damit zum Vorreiter in der westlichen Welt wurde, wandte sich entschieden gegen jede psychiatrische Behandlung wie "reparative" oder Konversionstherapien, "die auf der Annahme basiert, dass Homosexualität an sich eine geistige Verwirrung darstellt oder die auf der vorab zugrunde gelegten Annahme beruht, dass ein Patient seine homosexuelle Orientierung ändern sollte".

Die Gesellschaft untermauerte dies mit der Feststellung: "Neuere Publikationen, die Homosexualität wieder zur Krankheit erklären wollen, indem sie behaupten, sie könne geheilt werden, sind meist nicht von ernsthafter wissenschaftlicher Forschung motiviert, sondern manchmal von religiösen und politischen Kräften, die sich gegen volle Bürgerrechte für Schwule und Lesben richten." Im Hinblick auf frühere fehlgeschlagene Therapieversuche und deren Folgen für Betroffene gelte im Zweifel das Prinzip, erst besser abzuwarten, als Schaden anzurichten.