Italien hat seine Strategie im Umgang mit privaten Hilfsorganisationen im Mittelmeer geändert.
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Plötzlich ging alles sehr schnell. Dabei ist es gerade einmal einen Monat her, dass die neue italienische Rechtsregierung die Schiffe von Hilfsorganisationen im Mittelmeer tagelang warten ließ, bevor die Genehmigung zur Hafeneinfahrt gegeben wurde. Doch am Wochenende wurde rasch gehandelt. Italiens Behörden meldeten sich selbst bei den Nichtregierungsorganisationen und wiesen den Kapitänen Häfen zu, in denen die vor Libyen aufgelesenen Migranten von Bord gehen können.
Die "Rise Above" der Dresdener NGO Mission Lifeline legte am Sonntag mit 27 Menschen im Hafen von Gioia Tauro in Kalabrien an. Die "Life Support" der italienischen Organisation Emergency soll mit 70 Migranten nach Livorno navigieren, genauso wie die vor Sizilien kreuzende "Sea Eye 4" einer Hilfsorganisation aus Regensburg, die mit 63 Menschen auf dem Weg in die Toskana ist. Tagelang wird die Fahrt dauern.
Italien hat seine Strategie im Umgang mit den Nichtregierungsorganisationen im Mittelmeer geändert.
Die ungeliebten Helfer werden in Rom als sogenannter Pull-Faktor für die Migration über das Mittelmeer gesehen. Im Innenministerium heißt es, sie seien ein "Anreiz" für Einwanderungswillige zur Überfahrt. Die unerbittliche Strategie, den Rettungsschiffen tagelang keine Genehmigung zur Hafeneinfahrt zu geben, ist nun einer anderen Linie gewichen. Mit der Begründung, die Auffanglager auf Sizilien seien überfüllt, weist Rom den Flüchtlingshelfern nun weiter entfernte Häfen, etwa in Apulien, Kalabrien, Kampanien oder der Toskana zu. In diesem Jahr kamen laut Innenministerium bereits 98.700 Migranten über das Meer nach Italien, im selben Zeitraum des Vorjahres waren es rund 63.000.
Mindestens 2.000 Ertrunkene
Für die Nichtregierungsorganisationen kommen die Vorgaben einem Boykott gleich. Die Helfer weisen auf die 2.000 allein in diesem Jahr ertrunkenen Migranten hin. Am Wochenende starb ein zweijähriges Mädchen im Krankenhaus der Insel Lampedusa, nachdem es mit seiner Mutter auf der Überfahrt von Libyen in einem Schlauchboot gekentert war. Dennoch plant Innenminister Matteo Piantedosi Medienberichten zufolge ein Gesetz, wonach es den NGOs verboten sein soll, mehrere Hilfseinsätze hintereinander zu fahren. Nur jene Schiffe sollen künftig ohne Konsequenzen Erlaubnis zur Hafeneinfahrt bekommen, die die Migranten direkt nach einem Einsatz aufs italienische Festland bringen. Wer mehrere Rettungsaktionen aneinanderreiht, muss mit Geldstrafen oder der Beschlagnahme des Schiffes rechnen. Außerdem sollen die Flüchtlinge an Bord der Schiffe ihre Asylanträge stellen, die der Flaggenstaat des jeweiligen Schiffes übernehmen soll.
"Wir können keine Migranten aufnehmen, die von ausländischen Schiffen auf See aufgegriffen werden, die systematisch ohne vorherige Abstimmung mit den Behörden operieren", hatte der Innenminister im November erklärt. Piantedosi ist zwar parteilos, liegt aber politisch auf der Linie des als Hardliner bekannten Lega-Vorsitzenden Matteo Salvini, der heute Verkehrsminister ist. So forderte Italien schon vor einigen Wochen, dass sich ausschließlich die Staaten, unter deren Flagge die Schiffe fahren, der Migranten annehmen sollen. Rom wollte damit erzwingen, dass andere EU-Länder sämtliche Einwanderer versorgen.
Torpedierter Kompromiss
Hinter den Kulissen kam es damals zu einer Einigung. Als die Regierung in Rom im November zwei NGO-Schiffen doch noch die Landung genehmigte, twitterte Viktor Elbling, der deutsche Botschafter in Rom: "Die Solidarität funktioniert. Die ersten 164 Asylbewerber in Italien wurden in Deutschland aufgenommen. Deutschland hat über den vereinbarten Solidaritätsmechanismus die größte Zahl von Migranten aus Italien aufgenommen."
Damit bezog sich Elbling auf eine Einigung der EU-Innenminister vom Juni über einen "freiwilligen Solidaritätsmechanismus", die bisherige Ad-hoc-Vereinbarungen ersetzte. Jener Abmachung hatte aber noch Piantedosis Vorgängerin Luciana Lamorgese aus dem Kabinett von Mario Draghi zugestimmt. Die neue Rechtsregierung, die sich den kompromisslosen Kampf gegen illegale Migration auf die Fahnen geschrieben hat, fühlte sich nicht mehr an die Einigung gebunden. Nach dieser Vereinbarung, die eine große Mehrheit der 27 Mitgliedstaaten angenommen hatte, erklärten sich zwölf EU-Länder bereit, Migranten aus Mittelmeerländern, vor allem aus Italien, zu übernehmen. Wer Menschen nicht aufnimmt, kann sich mit Geldzahlungen oder Sachleistungen beteiligen.
Auf diese Weise sollen rund 10.000 über das Mittelmeer gekommene Migranten binnen eines Jahres auf andere EU-Staaten verteilt werden. Der Kompromiss galt als Durchbruch, da die EU sich seit der Flüchtlingskrise 2015 auf keinen einheitlichen Umgang mit Asylwerbern und Migranten einigen konnte.
Mit der Blockade-Politik durch Italiens neue Regierung wurde dieser frische Kompromiss torpediert. In der Folge hatten einige EU-Regierungen Rom intern die Konsequenzen deutlich gemacht: Solange die NGO-Schiffe blockiert werden, kann Italien nicht mit Solidarität bei der Aufnahme von Asylbewerbern rechnen. Bekommen die Hilfsschiffe hingegen Häfen zugewiesen, nehmen auch andere Länder die Migranten auf, so lautete die Botschaft.
Italienischen Medien zufolge herrschen in der Regierung in Rom unterschiedliche Ansichten zum Thema. So verfolgen die Lega Matteo Salvinis und das Innenministerium einen konfrontativen Kurs und heißen die Blockade der Nichtregierungsorganisationen gut. Außenminister Antonio Tajani (Forza Italia) ist kompromissbereiter. Die Entscheidung zum Einlenken kam letztlich aus Melonis Regierungszentrale.