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"Sehe keine nukleare Renaissance in Europa"

Von Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörden fraglich. | Atomstrom deutlich teurer als geplant. | "Wiener Zeitung":Im Zusammenhang mit dem Klimawandel ist viel von einer Renaissance der Atomkraft die Rede. Gibt es die tatsächlich?


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Georgi Kastchiev: Für Europa sehe ich die nicht. Möglicherweise gibt es sie aber in Asien - etwa in China, Japan und Indien. Der Grund sind mangelnde Energieressourcen. Und auch in den USA ist der Bau von weiteren 23 Reaktoren geplant. In der EU deuten alle Prognosen auf eine Reduktion der nuklearen Kapazitäten hin.

Gerade Bulgarien setzt aber doch auf dem Ausbau der Atomkraft. Erst im Dezember hat die Regierung ein neues Kraftwerk bei der russischen Firma Atomstroyexport bestellt.

Bulgarien ist ein Sonderfall. Die gegenwärtige Regierung ist sehr in Richtung Russland orientiert. Daher war die Ausschreibung für das Reaktorprojekt in Belene von Anfang an gezielt auf den russischen VVER-Typ hinformuliert. Kein anderer Anbieter hatte eine Chance. Dennoch bringt das noch keine nukleare Renaissance. Besonders in den USA gibt es bereits wachsende Skepsis bei der Finanzierung der Projekte. Ohne staatliche Unterstützung kann Atomstrom unmöglich im Wettbewerb mit anderen Technologien bestehen. Und außerdem basieren sämtliche Finanzplanungen auf alten Zahlen - nämlich etwa 35 US-Dollar pro Kilogramm Uran. Das war noch 2005 so. Heute kostet ein Kilo aber 275 Dollar pro Kilogramm, also rund acht Mal so viel. Das heißt, die Kosten für eine Kilowattstunde Atomstrom steigen gegenüber den ursprünglichen Berechnungen um bis zu einen Euro-Cent - das ist beträchtlich. Es ist also völlig offen, ob die heute geplanten AKWs wirklich jemals gebaut werden.

Sind neue russische AKWs genauso sicher wie westliche Kraftwerke?

Die Sicherheitsstandards der neuesten russischen Kraftwerke sind vom Konzept her mit jenen der westlichen vergleichbar. Allerdings ist die Qualität der Anlagen nicht so hoch. Etwa beim jüngsten russischen Projekt in China wies ein Generator bereits nach den ersten Vorabtests massive Schäden auf, also noch bevor das Kraftwerk überhaupt den Betrieb aufnehmen konnte. Genauso können fehlerhafte Teile natürlich nach Bulgarien geliefert werden. Ganz ähnliche Probleme haben neben einer fehlenden Risikoanalyse auch zu dem Zwischenfall im ungarischen AKW Paks 2003 geführt oder zu dem Vorfall letzten März in Kosloduj, wo einfach nicht zertifizierte Ersatzteile eingebaut wurden. Wir waren eigentlich froh, dass das Kraftwerk ohne funktionstüchtiges Abschaltsystem so lange reibungslos gelaufen ist.

Kann ein AKW überhaupt wirklich sicher betrieben werden?

Das ist nicht möglich. Es besteht immer die Möglichkeit schwerer Unfälle. Es wird schließlich die selbe Technologie verwendet wie bei Atomwaffen. Schon wegen der hohen Energiedichte im Reaktorkern können jederzeit Schäden auftreten. Darüber hinaus bestehen zahlreiche externe Gefahren wie Flugzeugabstürze, Erdbeben oder terroristische Aktivitäten. Und man darf nicht den Faktor Mensch vergessen. Menschen können immer Fehler machen, nicht in guter Verfassung oder schlecht ausgebildet sein. Bei den meisten bisherigen Zwischenfällen waren menschliche Fehler im Spiel.

Atomkraftbefürworter sagen, dass die unabhängigen Atomsicherheitsbehörden den sicheren Betrieb von Atomkraftwerken garantieren.

Es ist einfach, solche Aussagen zu treffen. Aber es ist nicht so einfach, als unabhängige Aufsichtsbehörde zu agieren. Es gibt viele Beispiele, wo das nicht so war. Etwa in Paks oder letztes Jahr in Kosloduj wo ein ernster Zwischenfall erst nach zwei Wochen gemeldet wurde. In vielen Ländern wie Ungarn, Bulgarien oder Tschechien sind die AKWs ebenso wie die Aufsichtsbehörden in staatlicher Hand. Dabei hat jener Teil der Verwaltung, der die nuklearen Aktivitäten plant und betreibt tausend Mal mehr Ressourcen und ihr Letztverantwortlicher wesentlich mehr Macht als die Regulierungsbehörde. Etwa vor Wahlen ruft dann einfach der Premier oder sein Stellvertreter bei der Aufsichtsbehörde an und sagt klipp und klar, dass er keine öffentlichen Probleme haben will, auch wenn es Probleme in einem Kraftwerk gibt.