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US-Professor hält irrationale Angst vor nuklearem Holocaust für gefährlich.
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"Wiener Zeitung":Sie vertreten die Ansicht, dass der Iran in Sachen Atompolitik eigentlich nichts anderes tut, als Israel zu kopieren. Wie meinen Sie das?Avner Cohen: Was ich sage ist, dass Israel in den Iran schaut und das sieht, was Israel selbst vor 30 bis 40 Jahren getan hat. Was der Iran betreibt, ist tatsächlich in manchen Aspekten eine Imitation Israels. Der Iran will die Unterscheidung zwischen Bomben-Besitz und Nicht-Besitz verwischen. Das unterminiert die Basis des Atomwaffensperrvertrags. Es gibt da also Ähnlichkeiten, aber es ist nicht das Gleiche. Israel hat zum Beispiel nie gesagt, dass seine Atom-Agenden nur friedlichen Zwecken dienen.
Sie plädieren dafür, dass Israel kein Geheimnis mehr um seine Atomwaffen-Kapazität macht, wenn ich Sie richtig interpretiere?

Ich meine, dass Israel mit der Hilfe anderer Staaten in der Frage Fortschritte machen sollte. Israel sollte sich als das darstellen, was es ist: Eine nukleare Macht wie Pakistan und Indien. Die Realität sollte auch als Realität anerkannt werden. Ich plädiere nicht dafür, dass Israel die Bombe testet. Ich bin aber für einen Nahen Osten ohne Nuklearwaffen, parallel zu einer Welt ohne Nuklearwaffen. Ich sehe auch nicht, dass Israel und der Iran miteinander reden, da ist zu viel Misstrauen. Es ist schwer, mit einem Land zu reden - dem Iran - das wünscht, dass das andere Land, - Israel - von der Landkarte verschwindet. Ich sage aber ausdrücklich nicht, dass der Iran Pläne hat, Israel tatsächlich auszulöschen. Doch der Iran hofft, dass Israel nur eine kleine Episode ist und irgendwie wieder von der Bühne abtritt. Ich rede nicht von nuklearem Holocaust und ich will auch auf keinen Fall, dass Israel quasi "nackt" dasteht.
Die israelische Strategie der Verleugnung der eigenen atomaren Macht stammt aus den 60er-Jahren. Damals, so ihre Ansicht, war sie effektiv. Jetzt ist sie es nicht mehr. Warum?
Die Strategie war effektiv, weil sie sicherstellte, dass die Sache die geringst mögliche Aufmerksamkeit erhielt. Es war ein Deal mit den USA, zwischen Golda Meir und Richard Nixon. Israel konnte so anders behandelt werden, es fiel nicht unter den Atomwaffensperrvertrag. Es war ein gewisses Maß an Weisheit in dieser Lösung, doch irgendwann wurde es zur Last. Es entwickelte sich zu einer Blase. Ein öffentliches Thema - und es gibt wohl kaum ein wichtigeres - ist der Öffentlichkeit völlig entzogen. Ich glaube nicht, dass das gesund ist, auch in einem weiteren, globalen Sinn. Jeder weiß es, aber Du kannst es offiziell nicht ansprechen. Es hat etwas Krankhaftes. Es ist wie der König, der nackt ist und keiner darf es sagen. Es ist für die internationale Gemeinschaft die Zeit gekommen, einen besseren Weg zu finden. Israel muss neben seinen Rechten auch seine Verpflichtungen annehmen. Das Outing als Atommacht durch Israel muss freilich im richtigen, passenden Moment geschehen. Vielleicht im Zusammenhang, mit einer Iran-Einigung, oder auf globaler Ebene.
Wäre das aus israelischer Sicht nicht strategisch unklug? Die Gefahr, die man nicht so genau benennen kann, ist doch viel furchteinflößender, als wenn alles klar auf der Hand liegt.
Was die derzeitige Situation betrifft, stimme ich Ihnen zu. Aber Israel ist die stärkste Nation im Nahen Osten. Die Tatsache, dass Israel unter Premier Benjamin Netanyahu über Holocaust spricht, immer wieder über den Holocaust, und den Iran, der die Existenz Israels bedroht: Das ist Panik, das ist Paranoia - und das Scheitern des Zionismus. Denn Israel sollte viel selbstbewusster sein. Wobei ich sage, das, was der Iran tut, ist gefährlich. Er verschafft sich alle notwendigen Möglichkeiten, um die Bombe zu bauen. Aber ich glaube nicht, dass der Iran tatsächlich an der Atombombe baut - nach den Daten, die vorliegen. Ich glaube, dass Israel die Realität falsch wahrnimmt. Die Art und Weise, wie Israel das Thema Iran abhandelt, ist falsch. Vieles, was Israel tut, ist einfach nur Bluff, um Obama zu zwingen, einen atomaren Iran zu verhindern. Obama hat schon gesagt, dass ein nuklearer Iran nicht akzeptabel ist. Israel hat aber Angst, dass Amerika nicht das tut, was es versprochen hat. Der Iran wird dämonisiert. Ein israelischer Angriff auf den Iran wäre extrem kontraproduktiv, für das, was Israel erreichen will.
Sie sprechen von israelischer Paranoia, von Vernichtungsängsten. Wie groß ist die Gefahr, dass ein irrational agierendes Israel aufhört zu bluffen und wirklich angreift?
Manche Angstgefühle der israelischen Bevölkerung sind berechtigt. Nicht alles wird durch die politische Führung manipuliert. Netanyahu glaubt, dass er die historische Rolle hat, einen zweiten Holocaust verhindern zu müssen. Das ist der große Fehler der derzeitigen israelischen Führung. Ich glaube, dass eine gesunde, geradlinige, selbstbewusste Führung diese fatale Politik nicht gemacht und dem Land diesen Schaden nicht zugefügt hätte. Das Ziel des Zionismus war, Israel zu heilen, zu normalisieren. Herzl, der hier in Wien im Cafe Landtmann gesessen ist, wollte die Juden heilen, die ganze Sache normalisieren. Benjamin Netanyahu, ist deshalb ein so schlechter Führer für Israel. Er führt die israelische Mentalität gezielt zurück zum Holocaust, zurück zur Wahrnehmung, eines Landes, das von Feinden umzingelt ist. Benjamin Netanyahu sabotiert die Zukunft Israels.
Aber die ursprüngliche Frage war: Ist es nicht gefährlich, wenn da eine Atommacht ist, die sich sehr irrational verhält?
Ich fürchte, es ist wirklich gefährlich. Ich bete jeden Tag, dass die israelische Bevölkerung Benjamin Netanyahu aus dem Amt nimmt. Und dass eine verantwortungsvollere Regierung das Ruder übernimmt. Netanyahu ist in der Tat ein großes Problem.
Zur Person
Avner Cohen ist Professor am "Monterey Institute of International Studies". Er ist Experte für das israelische Atomprogramm, zuletzt ist sein Buch "The Worst-Kept-Secret" erschienen.