Die erneute Niederlage Mays im britischen Parlament macht proeuropäischen Abgeordneten Hoffnung. Sie wollen kommende Woche eine Mehrheit für einen "sanften Brexit" finden.
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London. Sie schwenkten den Union Jack, skandierten Parolen wie "Raus heißt raus" und "Bye Bye EU" und strömten am Freitag zu Tausenden auf das Parlament in London zu. Die Demonstranten, allen voran Ex-Ukip-Chef Nigel Farage, fordern einen raschen EU-Austritt ihres Landes. Premierministerin Theresa May werfen sie Verrat vor. Es war der Tag, an dem das Vereinigte Königreich die Europäische Union verlassen sollte. Mehr als hundert Mal hatte May einen Brexit am 29. März versprochen. Doch es kam anders. Als neues Datum für den Brexit gilt nun der 12. April. Will May einen ungeordneten EU-Austritt in zwei Wochen verhindern, muss sie bei der EU um eine langfristige Verlängerung ansuchen. Gelegenheit dazu wäre beim nächsten Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs am 10. April.
Die verbleibenden 27 Mitgliedstaaten hatten klare Linien vorgegeben: Entweder das Unterhaus nimmt den Brexit-Deal bis zum 29. März an oder das Königreich schlittert am 12. April ohne Abkommen aus der EU. Nur, wenn London bis dahin einen neuen Plan auf den Tisch legt, kann der EU-Austritt noch einmal bis zum 22. Mai vertagt werden. Will das Vereinigte Königreich den Brexit darüber hinaus verschieben, muss es an den EU-Wahlen Ende Mai teilnehmen. Genau damit drohte May den Abgeordneten vor dem Votum am Freitag: Es sei "die letzte Chance, um den Brexit zu garantieren". Nur mit einer Zustimmung könnten sie "eine lange Fristverlängerung" vermeiden.
"Es geht in die richtige Richtung", sagt Sprecher Mays
Doch Mays verzweifelter Versuch, bis zum Ende der Deadline zumindest einen Teil ihres Austrittsvertrags mit der EU doch noch durchs Unterhaus zu bringen, ist kläglich gescheitert: Die Abgeordneten lehnten den Deal mit 344 "Nos" zu 286 "Ayes" ab.
Damit war das Ergebnis dieses Mal zwar knapper als bei der Abstimmung Mitte März (391 zu 242 Stimmen): Einige Brexit-Hardliner der konservativen Tories, darunter Ex-Außenminister Boris Johnson, stimmten am Freitag für Mays Deal. Vorhersehbar war die Niederlage der Premierministerin dennoch gewesen: Die oppositionelle Labour, die nordirischen Abgeordneten von der DUP sowie ein Teil der konservativen Brexit-Hardliner hatten ihre Ablehnung bereits vor der Abstimmung klargemacht. Das Vertrauen der Abgeordneten hat May schon lange verloren, ihre konservativen Tories wollen sie loswerden, sogar Mitglieder ihres Kabinetts sollen der Premierministerin regelmäßig nahelegen, endlich das Handtuch zu werfen. Doch May wollte nicht aufgeben. Sie werde weiter für ihren Deal kämpfen, sagte einer ihrer Sprecher nach der Niederlage am Freitag. Das Plus an Zustimmungen zeige immerhin, dass es in die richtige Richtung gehe.
Abgestimmt haben die Abgeordneten diesmal zwar lediglich über den "Scheidungsteil" des Austrittsabkommens - ohne die (unverbindliche) politische Erklärung über die künftigen Beziehungen. Doch aus Brüssel hieß es kurz vor dem Votum, dass dessen Ratifizierung ausreichend wäre, um einen geordneten Brexit sicherzustellen. Der Scheidungsteil legt fest, wie viel London der EU nach dem Brexit schuldet und welche Rechte die Bürger dann noch haben. Auch der umstrittene Backstop ist darin enthalten. Gereicht hat diese Zusicherung aus Brüssel nicht.
May hatte gehofft, dass diesmal mehr oppositionelle Abgeordnete für ihren Deal stimmen würden. Doch die meisten Labour-Leute haben inhaltliche Probleme mit der politischen Erklärung. Darin steht etwa, dass die Personenfreizügigkeit zwischen Großbritannien und der EU beendet werden soll.
Die proeuropäischen Abgeordneten haben sich nicht von Mays Drohungen ("Mein Deal oder kein Deal") unter Druck setzen lassen. Sie hoffen weiterhin auf einen Konsens im Parlament. Am Montag soll das Unterhaus noch einmal über die Alternativen zu Mays Brexit-Deal abstimmen. Ein erster Versuch war am Mittwoch gescheitert, die Abgeordneten lehnten alle acht Brexit-Ideen ab. Sehr knapp war allerdings die Abstimmung über einen dauerhaften Verbleib in der Zollunion der EU ausgegangen. Der Vorschlag wurde mit einer Mehrheit von lediglich acht Stimmen ablehnt. Dass es doch noch zu einem Konsens kommt, ist also durchaus möglich - immerhin wissen die Parlamentarier jetzt, welche Optionen theoretisch mehrheitsfähig sind. Die Testergebnisse haben gezeigt, welche Wege aus dem Sumpf es geben könnte: ein Verbleib in der Zollunion oder ein zweites Referendum.
Am Montag werden voraussichtlich weniger Optionen zur Wahl stehen. Als möglicher Gewinner gilt die Idee eines "sanften Brexit". Allerdings braucht es dazu die Einigkeit darüber, was überhaupt zur Wahl stehen soll. Beim letzten Mal gab es drei unterschiedliche Varianten einer engeren Anbindung an die EU. Unmöglich ist eine Mehrheit im Unterhaus nicht. Doch müssten die Abgeordneten Machtkämpfe innerhalb und zwischen den Parteien für einen Moment hinter sich lassen - und sich der mühsamen Millimeterarbeit der Konsensfindung stellen.
Denkbar ist auch eine Kombination der beiden beliebtesten Optionen: Eine zweite Volksbefragung darüber, ob das Vereinigte Königreich in der Zollunion der EU bleiben soll. Für die Idee eines "sanften Brexit" spricht, dass es für Großbritannien durchaus Sinn ergibt, in einer Zollunion mit seinem wichtigsten Handelspartner zu bleiben. Bei künftigen Handelsabkommen mitreden, wie Labour-Chef Jeremy Corbyn sich das vorstellt, könnte London dann allerdings nicht mehr.
Für die Brexit-Verfechter wäre dieser Weg der reinste Albtraum: Eine dermaßen enge Bindung an die EU, noch dazu ohne Mitspracherecht, würde alles sabotieren, was sich die glühenden EU-Gegner wünschen: Aus dem Schatten Brüssels treten, eigene Handelsverträge abschließen, ein möglichst harter Bruch mit der EU.
Brexit-Hardlinerscharren mit den Hufen
Unklar war am Freitag, wann May nun zurücktritt. Die Tory-Chefin hatte angekündigt zu gehen, sobald ihr Austrittsabkommen bestätigt ist. Keine fünf Minuten nach ihrer dritten Niederlage rief Jeremy Corbyn May am Freitag erneut zum Rücktritt auf: Akzeptiere sie nicht, dass ihr Deal der falsche sei, müsse es Neuwahlen geben, so der Labour-Chef. Aufwind bekommen hat auch die Forderung der Brexit-Hardliner unter Mays konservativen Tories. Sie wollen, dass die Premierministerin Platz macht - um einen von ihnen ins Rennen ums Amt zu schicken.