Wortmeldungen der Lehrergewerkschafter sind immer willkommen. Gerade jetzt, wo die Tage kürzer werden und die Novemberdepression ihre Schatten vorauswirft, können sie mit unfreiwilliger Komik etwas Abwechslung in den grauen Alltag bringen. Mit ihrem Ruf nach dem Rohrstaberl haben sie wieder einmal einen Volltreffer gelandet.
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Sie will also wieder nach Herzenslust strafen dürfen. Wer möchte nicht? Aber während andere solche Regungen schamvoll verschweigen, gehen die Lehrervertreter damit in die Öffentlichkeit. Nicht nur ihren Schülern wollen sie - bildlich gesprochen - den Hosenboden strammziehen. Auch für Eltern soll es bei "fehlender Kooperation" Konsequenzen geben. Die Elternvertreter, nicht mundfaul, wollen im Gegenzug Strafen für Lehrer. Wird demnächst der gesamte Unterrichtsbetrieb als Teilbereich der Strafjustiz organisiert? Was ist los mit einer Berufsgruppe, die einen dauerhaften Frontalkurs gegen gesellschaftliche Realitäten fährt? Keine andere Gruppe tut sich so schwer, auf die Veränderungen im sozialen Umfeld ihres Berufs produktive Antworten zu finden.
Ein Vergleich mit dem katholischen Klerus in der Ersten Republik drängt sich auf. Dieser reagierte auf den politischen Umbruch, der ihn seiner autoritativen Stellung als Repräsentant der Staatskirche beraubte, zunächst mit Ablehnung der Demokratie. Auch die Lehrer leiden unter ihrem Autoritätsverlust. Sie waren einmal "Respektspersonen", denen man ungefragten Gehorsam schuldete. Respekt verdienen die Lehrer auch heute. Aber das ist nun keine Einbahnstraße mehr, sondern Ergebnis eines Prozesses. Wie in der Familie findet auch in der Schule die Kommunikation mit Kindern und Jugendlichen weniger in Form von Anordnung und mehr in Form von Aushandlung und Begründung statt.
Das ist nicht immer einfach. Aushandeln ist komplizierter als befehlen, und komplexe Prozesse können leichter scheitern. Aber es gibt keine Alternative zu einer neuen Schulkultur. Die Untertanenmentalität, Fundament des Obrigkeitsstaates, steht nicht mehr zur Verfügung, und das ist gut so. Und so sittsam ist es in der goldenen alten Zeit ja auch nicht zugegangen. Der arme Lehrer Lämpel bei Wilhelm Busch weiß ein Lied davon zu singen.
Vielleicht ist es ein Generationenproblem. Mit der Pensionierungswelle der kommenden Jahre beginnt jener Beton zu bröckeln, den man heute mit der Lehrergewerkschaft assoziiert. Hoffen wir, dass künftige Lehrergenerationen auf die aktuellen Herausforderungen ihres Berufs bessere Antworten finden werden als den Ruf nach alten Strafritualen. Auch der katholische Klerus machte schließlich in der Zweiten Republik seinen Frieden mit der Demokratie.
Hans Pechar leitet die Abteilung Hochschulforschung an der Universität Klagenfurt.