Wir leben in einem Land, in dem Männer und Frauen die gleichen Rechte haben. Aber wo steht die Emanzipation heute? Bei den Frauen gab es gewaltigen Nachholbedarf, die Männer waren lediglich Beobachter. Mittlerweile sind sie zu "halben Wesen" verkommen, während sich das weibliche Geschlecht hingegen "vervollkommnete". Zumindest rein theoretisch.
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Kürzlich, als ich unbekümmert den Tiefkühlfisch aus der Verpackung schälte und einen Augenblick daran dachte, dass ich meine Töchter küchentechnisch zu Autodidakten erziehe, ertappte ich mich bei einer kleinen Unsicherheit. Wer, oder besser was, bin ich? Welches Rollenmodell passt zu meinem Selbstbild? Bin ich Boxenluder, Karrieristin, Muttchen, Hausfrau, bessere Hälfte, Ehegespons, Alpha-Mädchen oder alles auf einmal? Was bedeutet es heute, Frau zu sein? Und - was bedeutet das für den Mann?
Wir "Töchter der Emanzipation" können selbstbestimmt leben. Was uns als selbstverständlich erscheint, macht andere ratlos. "Früher hat man Frauen kennengelernt, die konnten kochen wie ihre Mütter", hörte ich unlängst, "heute hingegen trifft man Frauen, die saufen wie ihre Väter." Da könnte man getrost sagen, na dann Prost!
Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn nach Meinung des deutschen Schriftstellers Ron Kritzfeld hat die Gleichberechtigung den Frauen zusätzliche Lasten aufgebürdet: "Emanzipation ist jener enorme Fortschritt, der Frauen erlaubt, nicht nur Kinder zu haben und den Haushalt zu versorgen, sondern auch noch das nötige Geld für die Familie zu verdienen." Das ist feiner Spott, beinharte Realität und Teil des Problems: Es ist schwierig, überkommene Rollenmuster aufzulösen.
Die Folgen der Emanzipation
Noch selten hat etwas die Gesellschaft so sehr verändert wie der Gedanke, dass Frauen und Männer gleichberechtigte Menschen und gleichberechtigte Staatsbürger sein sollen. Die Folge waren grundlegende Umwälzungen in der Partnerschaft, in der Familie, in der Arbeitswelt und dem Rechtssystem. Nach ersten Höhenflügen hat die Emanzipation eine harte Landung hingelegt: Sie ist auf Bonsaiformat geschrumpft. "Manchmal", erzählt der 30-jährige Salzburger Architekt Leander, dessen gleichaltrige Frau Ines Steuerberaterin ist, "bin ich ziemlich fertig, wenn ich am Abend nach Hause komme." Seine Frau bereitet das Abendessen, er liest die Zeitung. Nicht selten kommt es zu Zwistigkeiten, weil Ines meint, er könne Tisch decken oder den Mist hinunter tragen. Dann, gesteht er freimütig, denkt er, dass der Beruf seine Frau zu sehr belaste. Dann habe er diese seltsame "Sehnsucht nach der Hausfrau".
Na bravo, ruft es da spontan aus uns heraus. Die Vorgängergenerationen haben ganze Arbeit geleistet, und wir dachten, wir können uns nun entspannt zurücklehnen und ein bisschen nutznießen. Die vielen Frauen, die mit ihren Kindern gänzlich zu Hause bleiben oder nur noch halbe Tage arbeiten, können wir gut und gern ignorieren. Reicht doch, wenn ein paar vernachlässigbare Prozent von all den rebellischen, starken, neugierigen und selbstbewussten Frauen hierzulande einen Chefsessel erklimmen, wenn jede vierte Frau finanziell unabhängig ist und nur etwa vier Prozent der österreichischen Männer Kindergeld beziehen. Jetzt soll eine neue, einkommensabhängige Kindergeld-Variante die Väter vermehrt in die Karenz locken.
Natürlich steigt die Zahl der arbeitenden Frauen stetig und natürlich haben Männer und Frauen die gleichen Rechte. Doch bei genauerem Hinsehen wird klar, dass der uralte und bei uns als ungeschriebenes Gesetz ewig wiederholte Gegensatz von Kind und Karriere andernorts längst als überholt gilt. Frauen bekommen da, wo sie stark am Arbeitsmarkt partizipieren, auch mehr Kinder. Sie trauen sich mehr zu. Die Berufstätigkeit der Frauen ist innerhalb Europas in Schweden (75,4 Prozent) und Dänemark (75,1 Prozent) am höchsten - das sind auch die Länder mit den höchsten Geburtenraten. Österreich liegt mit seiner Frauenerwerbsquote an fünfter Stelle zwar nicht schlecht im europäischen Rennen, mit der Einkommensgerechtigkeit sieht es bekanntermaßen trist aus. Nach wie vor ist gleicher Lohn für gleiche Arbeit bei Frauen eine Illusion.
Schade, dass man Männern nicht klarmachen kann, worum es geht. Die brave Hausfrau, die dem Gatten die Hemden stärkte und weiße Wäsche wünschte, ist mittlerweile zur eher seltenen Spezies geworden. Die Töchter der braven Hausfrau wünschen sich auch weiße Wäsche - aber dazu einen guten Job, ein spannendes Hobby und einen Mann, der sich mit weißer Wäsche ebenso auskennt wie sie. Das treibt Männer in die Krise - das sagt sogar die Berliner Feministin Ines Kappert. Weil sie als Ernährer zunehmend zurückgedrängt werden und Frauen stärker ins Erwerbsleben eintreten. Auch die ökonomische Situation für den durchschnittlichen Mann hat sich deutlich verschärft. Gerade in westlichen Industriegesellschaften sind gewisse Privilegien ausschließlich durch das Mann-Sein nicht mehr gegeben. Der Leistungsdruck hat zugenommen. Der Mann weiß also auch nicht so recht, was er ist. Macho oder Metrosexueller, Ernährer oder Erziehungsurlauber, cooler Sprücheklopfer oder smarter Gewinnertyp. Der deutsche Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter sieht wenig Veränderung: Die Männer, schreibt er, seien "geblieben, was sie waren", und stellten sich nun, gemessen an den Frauen, als "unvollständige, sozusagen halbe Wesen" dar. Frauen hätten "zu ihren ursprünglichen Stärken neue hinzugewonnen und sich vervollkommnet".
Aus diesen "vollkommenen Wesen" besteht laut einer UN-Studie die Hälfte der Weltbevölkerung. Frauen stellen ein Drittel der Beschäftigten, leisten aber zwei Drittel der Arbeitsstunden. Sie verdienen nur ein Zehntel des Welteinkommens und besitzen nicht einmal ein Prozent der Reichtümer dieser Erde. "Natürlich", räumt die einst als "Männerschreck" und "frustrierte Tucke" beschimpfte Feministin Alice Schwarzer ein, "schafft man 5000 Jahre Männerherrschaft nicht in fünfzig Jahren ab!". Aber wenn es stimmt, dass die Emanzipation erst dann vollendet ist, wenn auch einmal eine total unfähige Frau in eine verantwortliche Position aufrückt, ist das Ziel in weite Ferne gerückt.
Das einzige Ziel, das Frauen derzeit vor Augen haben, ist der Mann. Frauen sind ständig auf der Suche nach Mr. Right. Sobald sie ihn haben, tun sie buchstäblich alles, um ihn zu behalten - Kinder inklusive. Dieses Bild transportieren jedenfalls die zahlreichen Magazine und Zeitschriften, die sich mit ihren Angeboten speziell an Frauen wenden. Das simpel gestrickte Lebensrezept: Sind wir Single, müssen wir dieses Dasein sofort ändern. Sind wir nicht mehr Single, droht uns täglich "sein" Abgang. Dagegen müssen wir Diät halten, Yoga vor dem Fernseher machen, Pilates erlernen, die Schlupflieder wegschminken, die Sexbombe in uns suchen, das Geheimnis der Schönheit ergründen, den Typ verändern, flotte Gerichte zaubern, Dellen wegmassieren, Knallfarben auf den Nägeln tragen, uns eine trickreiche Kommunikationsstrategie überlegen oder einfach das Schlafzimmer wieder neu gestalten. Verschwindet er trotz aller Mühen, haben wir versagt. Im Job gilt das Gleiche. "Glamour" verrät, wie man die Spuren einer durchzechten Nacht vor dem Chef verbirgt; "Cosmopolitan" veröffentlicht einen Business-Knigge und fragt, ob Büroflirts erlaubt sind. Das Wort Arbeit kommt nicht vor.
Neuer Sexismus?
Im angelsächsischen Raum spricht man bereits von "new sexism", dem neuen Sexismus, als einer ziemlich hemmungslosen und öffentlich ungeahndeten Flut halb-pornografischer Bilder in Hochglanz- und Style-Magazinen. Halbnackte und nackte Frauen, die für alles Mögliche und Unmögliche herhalten müssen. Treten Frauen energisch dagegen auf, gelten sie als "unweiblich".
Alle Zeichen der Frauen- und Familienpolitik stehen auf Förderung, Frauen sollen "Karriere" machen - aber die Verhaltensweisen, die dafür zumindest in einem gewissen Umfang nötig sind, sagen wir Ehrgeiz, Durchsetzungsfähigkeit, Härte, geistige Unabhängigkeit, sind mit dem geltenden Begriff von Weiblichkeit nicht vereinbar. Wenn eine Frau machtbewusst und durchsetzungsfähig ist, gilt sie als kalt und unweiblich - und wenn sie sich kooperativ und verhandlungsbereit zeigt, identifiziert man sie als Weichei.
Weiblichkeit bedeutet immer noch die Bezogenheit auf das männliche Geschlecht; bedeutet die Bereitschaft zur Arbeit am eigenen, schlanken, alterslosen, faltenfreien Körper, der den Männern gefallen soll. Auf der einen Seite die Hausfrauen oder Frauen in Teilzeitjobs und solche, die sich mit einem interessanten Job ohne Führungsaufgaben zufrieden geben. Auf der anderen Seite die Kriegerinnen, "Power-Feministinnen" wie Alice Schwarzer oder "Alphamädchen", wie neuerdings die gut ausgebildeten jungen Frauen heißen, die Burschen im Bildungssystem überrunden. Kaum eine der Frauen will heute in Verdacht geraten, mit den Emanzen der Frauenbewegung zu sympathisieren. Die erscheinen im Rückblick als militant und humorlos. Und anstatt zu fragen, warum sich junge Paare nach absolut traditionellen Rollenmustern verhalten, warum viele Frauen unter vierzig die eigene Unabhängigkeit scheinbar freiwillig und höchst vergnügt aufgeben, erzählen wir uns das Märchen von der erfolgreichen Gleichstellung. Wahrscheinlich stimmt ein wenig von dem, was Allan und Barbara Pease in ihrem Bestseller "Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken" über die Unterschiede der Geschlechter behaupten. "Gestresste Männer trinken Alkohol und rücken in fremde Länder ein", schreiben sie, "Gestresste Frauen essen Schokolade und rücken in Einkaufszentren ein."