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Sehnsucht nach Stabilität in Europa

Von Erhard Busek

Europaarchiv

Unser verändertes Europa und die in Bewegung geratene Welt brauchen Stabilität. Südosteuropa spielt dabei eine Schlüsselrolle. Welche Perspektiven eröffnet der EU-Stabilitätspakt und was ist jetzt zu tun?


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Das alte Diktum des Dominators des Wiener Kongresses 1815, dass der Balkan am Rennweg beginne, ist in unseren Landen noch sehr präsent. Die Ironie ist, dass sich das Metternich'sche Palais an eben diesem Rennweg befindet, wobei offensichtlich der Staatskanzler damit signalisieren wollte, in welchem Ausmaß er und das von ihm gesteuerte Land von den Zuständen im Südosten Europas betroffen ist. Er hat damit Recht behalten, denn spätestens nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Zerfall des alten Jugoslawiens ist diese Situation wieder aktuell geworden. Die internationale Staatengemeinschaft hat Schritt um Schritt darauf reagiert. Zunächst hat sie versucht, die Wirklichkeit zu verweigern, indem sie empfohlen hat, im alten Jugoslawien zu verbleiben. Dass die verschiedenen ethnischen Gruppen miteinander längst fertig waren und es nicht gelungen ist, eine gemeinsame jugoslawische Identität zu schaffen, wurde schlicht und einfach ignoriert.

Europa auf dem Prüfstand

Als sich vor und nach 1991 die Europäische Gemeinschaft dafür engagierte, Jugoslawien als Gebilde zu erhalten, war es zu spät. Lange hat es gedauert, bis die Anerkennungsfrage geregelt war, wobei nicht nur das Restjugoslawien, sondern auch wir noch an den nicht gelösten Problemen von Kosovo und Montenegro würgen. Die Amerikaner haben die Europäer quasi als Testfall für ihre Lösungskapazität vier Jahre allein gelassen, wobei diese bedauerlicherweise damals nicht in der Lage waren, das Problem zu lösen. Als sie 1996 in Bosnien eingriffen, kam das Dayton-Agreement zustande, wobei in der Folge dann im Kosovo und in Mazedonien von Haus aus auch die USA dabei waren und in die Lösungen eingebunden sind. Sichtbares Zeichen ist der offiziell in Sarajevo im Juli 1999 und vom deutschen Vorsitz in der EU vorbereitete Stabilitätspakt, der sich nicht nur auf die Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens - die EU nennt sie "Westbalkan" - erstreckt, sondern auch auf Rumänien und Bulgarien. Was insofern ein Spannungselement bedeutet, als diese beiden Staaten gleichzeitig Kandidatenländer für die Erweiterung der EU sind, aber wohl in der ersten Runde keine Chance haben.

Der Stabilitätspakt ist ein Fortschritt, weil er davon ausgeht, dass es eine Partnerschaft zwischen den Mächten von heute (EU, USA und eine Reihe von anderen Staaten) und der Region ist, die im übrigen das Ziel verfolgt, diesen Raum in die Europäischen Union Schritt um Schritt zu integrieren. Das ist eine sehr positive Entwicklung, weil mit Sicherheit die Fülle der strittigen Grenzen, die Probleme der Minderheiten, aber auch der wirtschaftlichen und sozialen Ungereimtheiten nur gelöst werden können, wenn schrittweise dieser Integrationsprozess erfolgt.

Beträchtliches erreicht

Neben diesem grundsätzlichen Ziel hat der Stabilitätspakt auch Beträchtliches erreicht, so auch das Gespräch der Staaten der Region untereinander und eine beachtliche Summe Geldes, die für die verschiedensten Projekte von Demokratie und Menschenrechte über Infrastruktur bis hin zu Sicherheitsfragen versprochen wurden und nun nach und nach umgesetzt werden. Dass es dabei eine gewisse Ungeduld auf der Seite der Region gibt, ist nur zu verständlich, wobei man die Sehnsucht hatte, das Geld direkt zu erhalten, was wieder nicht die Garantie bedeutet, dass es auch wirklich richtig angewandt wird. Andererseits brauchen die jungen Demokratien auch rasche Erfolge, um überzeugend zu wirken. In dieser Phase sind jetzt der Stabilitätspakt und damit auch ich als Koordinator dabei, diese Umsetzung zu erreichen und die Perspektive der Europäischen Integration zu fördern. Gegenwärtig wird in einer Fülle von Projekten Arbeitsgruppen, Arbeitstischen und Prozessen versucht, in den wichtigsten Bereichen Erfolge zu erzielen, so bei organisiertem Verbrechen, Menschenhandel und Korruption auf der Negativseite, wie im Bereich des Freihandels, der Infrastruktur und der Energieversorgung auf der Positivseite, wo es eine Reihe von Fortschritten gibt.

Regionale Initiativen

Neben dem Stabilitätspakt gibt es auch eine Reihe von regionalen Initiativen. Seit fünf Jahren betreibe ich die Southeast European Cooperative Initiative (SECI), die ganz konkrete begrenzte Projekte wie etwa die Verbesserung der Grenzkontrolle, den Informationsaustausch über Kriminalität, die Abwicklung der Zollaktivitäten und nicht zuletzt eine Verschränkung der Business Community innerhalb und außerhalb der Region zum Ziel hat.

Warum tun wir uns das alles an? Wir könnten ja auch der Meinung sein, dass man wie es Goethe im Faust formuliert "die Völker - weit hinten in der Türkei ruhig aneinander schlagen" lassen sollte. Es ist aber ganz klar, dass wir ohne Stabilität in dieser Region keine Stabilität in Europa haben. Die Ereignisse des 11. September 2001 haben uns auch klar gemacht, wie sehr wir in einer vernetzten Situation leben. Der Verdacht, dass Al-Kaidah-Kämpfer bereits in Bosnien tätig waren, zeigt, dass die Globalisierung auch in diesen Bereichen Wirklichkeit ist. Das gilt aber nicht nur für die kritischen Bereiche, sondern auch für die Tatsache, dass wir westlichen Werten auch in Südosteuropa zum Durchbruch verhelfen wollen. Vielfach tun wir das in einer etwas als Kolonialherrschaft zu bezeichnenden Art, denn inzwischen gibt es eine Reihe von Protektoraten, die eigentlich weitergehend sind, als es im 19. Jahrhundert der Fall war. Darin ist die große Gefahr inkludiert, dass sich die Staatengemeinschaft von den Menschen dieser Länder entfremdet, weil sie nicht als eine europäische Assistenz, sondern als eine internationale Dominanz verstanden wird. Partnerschaft will nicht nur erklärt, sondern auch gelebt werden. Kritisch sei vermerkt, dass die Kenntnis über die Situation der Region nicht allzu weit verbreitet ist. Wir erleben es in den Schlagzeilen und Abendnachrichten, wenn sie mit Kämpfen, Aufständen oder sonstigen schrecklichen Entdeckungen verbunden sind, nicht aber als einen positiven Prozess des Dialogs. Vereinfachungen sind an der Tagesordnung, wie seinerzeit bereits in Bosnien-Herzegowina immer wieder von den katholischen Kroaten, orthodoxen Serben und muslimischen Bosniaken gesprochen wurde, was der realen religiösen Situation nicht gerecht wurde, denn die große Zahl der Bewohner waren eigentlich religiös gleichgültig und säkularisiert.

Bildungssystem verbessern

Für Österreich ist aber gerade Südosteuropa ein entscheidender Bereich, nicht nur weil es historische Verbindungen gibt, sondern weil wir auch am direktesten aus der Reihe der Mitgliedstaaten der Europäischen Union betroffen sind. Die Wirtschaft hat die Chancen in beachtlicher Weise wahrgenommen, die Politik unterliegt teilweise einem Wechselbad, was oft mit innerpolitischen Situationen zusammenhängt. Positiv sei vermerkt, dass eine Reihe von karitativen Organisationen, wissenschaftlichen Einrichtungen und Bildungsaktivitäten viel hinterlassen haben. Es ist der gegenwärtigen Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer zu verdanken, dass es den "Graz-Prozess" gibt, der sich dafür einsetzt, das Bildungssystem der Region zu verbessern. Darin liegt die langfristige Aufgabe, denn anders kann das Denken der alten Zeit und "old boys network" nicht verändert werden. Es wäre daher zu wünschen, dass bei aller Budgetknappheit auch die finanziellen Mittel stärker eingesetzt werden können, als das gegenwärtig der Fall ist. Dem Steuerzahler ist relativ leicht erklärbar, dass durch die dadurch entstehenden wirtschaftlichen Möglichkeiten relativ rasch das Geld zurückkommt, das von der Republik investiert wird. Fortgesetzte Krisen in der Region sind für uns noch teurer.

Werte und der "Westen"

Besonders sei darauf hingewiesen, dass am Balkan die erste direkte europäische Begegnung mit einem Raum stattgefunden hat, in dem auch die Moslems sehr präsent sind. In Südosteuropa leben ca. 7 Millionen Moslems, das ist weniger als in Frankreich und Deutschland zusammengerechnet. Wohl aber haben sie eine gewisse kulturelle Tradition, die allerdings auf geringerem Niveau in albanischen Gebieten vertreten ist. Anzunehmen, dass es sich hier durch die Bank um Fundamentalisten handelt, ist ein großer Fehler. In Wahrheit sind jene marginalisierten Bevölkerungsgruppen, die in westeuropäischen Städten leben, viel gefährdeter als die dort seit Jahrhunderten integrierten Muslime, deren Geschichte äußerst differenziert zu sehen ist, weil ihre Zugehörigkeit zu dieser Religion die verschiedensten Wurzeln hat. Hier müssen die christlichen Konfessionen gefragt werden, was sie zu dieser Frage beitragen können.

Katholiken und Orthodoxe

Das Verhältnis von Katholiken und Orthodoxen ist ohnehin schon belastet genug, sodass kritisch vermerkt werden muss, dass Nächstenliebe als Lösungsfaktor allein schon im christlichen Bereich nicht besonders wirksam geworden ist. Wir sind von einer Ökumene weit entfernt. Hier wird wohl die zivile Gesellschaft Fragen an die Religionsgemeinschaften stellen müssen, inwieweit sie ihren eigenen Überzeugungen wirklich folgen und was sie konkret dazu beitragen können. Es geht dabei auch um die Tatsache, dass der "Westen" nicht Werte exportiert hat, sondern Konsumhaltung, Relativismus und Opportunismus sowie fragliche Produkte wie Pornographie und einen Menschenhandel, der zu einem beachtlichen Teil durch bedauerliche Sexualbedürfnisse unserer entwickelten Welt beeinflusst ist. Dass auch dann noch der Drogenhandel eine entsprechende Rolle spielt, der von unserer Gesellschaft gesteuert wird, muss der Ordnung halber noch hinzugefügt werden.

Unter diesem Aspekt ist es völlig klar, dass es besser ist, früher Personen und Geld zu investieren, als später den Folgen begegnen zu müssen. Das ist nicht nur eine Überlegung der Kostengünstigkeit, sondern schlicht und einfach die Sehnsucht nach der notwendigen Stabilität, die unser verändertes Europa und die in Bewegung geratene Welt braucht. Insofern hat Südosteuropa eine Schlüsselrolle und der Ausdruck "Stabilitätspakt" ist nicht verfehlt, sondern eine notwendige Herausforderung. Außerdem ist auch dort Europa!

Dr. Erhard Busek ist Koordinator des EU-Stabilitätspaktes für den Balkan. Der Artikel ist ein Auszug aus einem Beitrag für die Februar-Ausgabe des "Wiener Journal".