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Sehr geheim und sehr nutzlos

Von Alexander U. Mathé

Analysen

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Weltweit sammeln die Behörden persönliche Daten, dass es nur so kracht. Vorratsdatenspeicherung, Rasterfahndung, Bewegungsprofile, Aufzeichnungen von Geldtransaktionen und Ähnliches greifen im Namen der Terrorbekämpfung in die Privatsphäre ein. Die staatliche Überwachung war in der Geschichte der Menschheit noch nie so ausgeprägt wie heute. Die Sinnhaftigkeit wird allerdings in Frage gestellt, wenn Fälle wie Mohamed Merah auftreten. Sowohl der amerikanische als auch der französische Geheimdienst hatten den mutmaßlichen Toulouser Serienmörder auf ihrem Radar. Allein: Gebracht hat es nichts.

Hört man sich bei in diesem Überwachungsmilieu tätigen Personen um, bekommt man Sätze wie "Ich habe nicht das Gefühl, dass sich irgendjemand meine Daten und Analysen ansieht" zu hören. Im Vordergrund steht die Anhäufung von möglichst viel Information. Eine Zahl zur Veranschaulichung: Allein im auf diesem Gebiet noch verhältnismäßig zurückhaltenden Deutschland wurden 2010 mehr als 37 Millionen E-Mails überprüft. Tendenz steigend: Das Jahr davor war es nur ein Fünftel davon gewesen.

Die Unfähigkeit der Geheimdienstler und Terrorbekämpfer, sich effektiv durch diese Fülle an Daten zu wühlen und zu einem klaren Schluss zu kommen, zeigt sich im Fall Merah. In den USA stand er auf der exklusiven "No-Fly-Liste" des FBI. Auf der sind 4000 Personen verzeichnet, von denen man annimmt, dass sie ein Flugzeug zum Absturz bringen würden, ließe man sie eines besteigen. In Afghanistan hatten ihn die US-Sicherheitskräfte bereits verhaftet. Wegen Bombenlegens landete er in einem afghanischen Gefängnis, aus dem er jedoch ausbrechen und nach Frankreich zurückkehren konnte. Die häufigen Afghanistan-Reisen haben auch die französischen Beamten aufschrecken lassen. Ihre Bedenken konnte Merah bei Einvernahmen zerstreuen. Daran hat auch jene Frau aus Toulouse nichts geändert, die den Mann zur Anzeige brachte, weil er ihrem Sohn Enthauptungsvideos des Terrornetzes Al-Kaida gezeigt hat.

Frankreichs Verteidigungsminister Longuet gibt zwar zu bedenken, dass Merah, wenn überhaupt, nur in einem Polizeistaat rechtzeitig gestoppt werden hätte können. Doch wen wenn nicht Merah will man eigentlich genau überwachen? Wozu dann das Ganze? Die Antwort fängt bei der Abschreckung von Terroristen an, geht über mögliche Wirtschaftsspionage und reicht bis hin zur simplen nachträglichen Erklärung der Ereignisse. Wenn aber etwas schiefgeht - etwa eine einfach unvermeidbare monströse Tat begangen wird -, eignen sich die Geheimdienste auch ideal als Sündenböcke.