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"Sehr, sehr ernst und unerfreulich"

Von Hermann Sileitsch

Wirtschaft

Wejwoda: Wettbewerb im Handel nicht ausreichend. | "Blanke Angst bei den Lieferanten." | "WienerZeitung":Hat sich Brüssel aus der Regulierung des Handels verabschiedet?


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KlausWejwoda: Es ist für mich unverständlich, dass keine vertiefte Prüfung vorgenommen wurde. Ich kenne die Details nicht, aber die Ideen für Auflagen, die kursierten, sind hanebüchen und waren darauf ausgerichtet, ein Ja für Rewe zu ermöglichen. Nichts gegen das innere Wachstum eines Unternehmens, das erfolgreich ist. Aber bei der hohen Handelskonzentration in Österreich ist es ganz, ganz arg, wie Brüssel hier vorgegangen ist. Hier wäre wesentlich mehr Sorgfalt zu erwarten gewesen.

Was meinen Sie mit hanebüchenen Auflagen?

Die Beurteilung der Marktmacht nach Bezirken ist höchst willkürlich: Der örtliche Markt wird durch Regionen und zeitliche Erreichbarkeit bestimmt und nicht durch politische Verwaltungsgrenzen. Viele, die im Bezirk Mödling in Guntramsdorf wohnen, fahren nach Baden einkaufen.

Befremdend ist auch, dass ein früherer stellvertretender Generaldirektor der Wettbewerbsbehörde in Brüssel als Berater von Rewe aufgetreten ist.

Sie meinen Götz Drauz, der laut "Format" für Rewe interveniert hat. War das also ein Lobbying-Erfolg?

Das ist mein Eindruck. Die Kommissarin war offenbar daran interessiert, dass der Handel nicht am Wachsen gehindert wird.

EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes behauptet aber, der Wettbewerb funktioniere, und der Rewe-Adeg-Deal verhindere ein weiteres Steigen der Lebensmittelpreise...

Meiner Meinung nach funktioniert der Wettbewerb nicht so, wie es wünschenswert wäre. Brüssel hat akzeptiert, dass die drei Größten 83 Prozent Marktanteil haben und winkt das selbstherrlich und überheblich durch. Das ist eine sehr, sehr ernste und unerfreuliche Geschichte.

Zu behaupten, dass das dem Wettbewerb gut tut, ist geradezu Orwellsches Neusprech ( manipulative Sprache wie im Roman "1984" von George Orwell, Anm. ).

Rewe-Chef Frank Hensel hat die Auflagen, Filialen schließen zu müssen, als "streng" bezeichnet ...

Wenn die Kommission entscheidet, dass ein Marktanteil bis 50 Prozent unbedenklich ist, dann führt sie eine neue Linie ein. Die übliche Zahl für eine marktbeherrschende Stellung waren 30 Prozent. Es wird auch interessant sein zu beurteilen, welche Filialen wirklich geschlossen werden.

Was werden die Auswirkungen für die Lieferanten sein?

In der Vergangenheit hat der Handel bei Zusammenschlüssen von den Vorlieferanten Geburtstagsoder "Heiratsrabatte" eingefordert. Vielleicht wird man jetzt etwas vorsichtiger sein, weil die Wettbewerbskommission im Moment gerade die Inflationsstudie verfasst und dabei auch den Lebensmittelhandel genau untersucht.

Bei einer Branchenuntersuchung der Bundeswettbewerbsbehörde haben sich die Lieferanten teure Anwälte geleistet, nur um keine Aussagen über die Handelsunternehmen machen zu müssen, weil sie Repressalien befürchteten. Schon jetzt regiert bei den Lieferanten also die blanke Angst.

Werden die Lebensmittelpreise künftig steigen?

Wir haben soeben Branchengespräche im Zuge unserer Inflationsstudie geführt. Natürlich gibt kein Handelsunternehmen seine Einkaufspreise oder Spannen bekannt. Ich habe aber noch die letzten amtlichen Milchpreiskalkulationen von Mitte der 90er Jahre aufgehoben. Damals betrug die Handelsspanne bei Trinkmilch 14 Prozent. Meine Frage lautete: "Haben Sie die gleiche Spanne, weniger oder mehr?" Keine Antwort. Ich sage Ihnen warum: Weil es mehr ist.

In den Jahren seit der Beteiligung am gemeinsamen europäischen Markt haben manche unverhältnismäßig tief hineingegriffen und sich viel geholt. Für ein Semmerl zahlen wir heute 30 bis 33 Cent, was mit den teureren Rohstoffen begründet wird. Deren Anteil am Preis ist aber nur 1,6 Prozent.

Sind die Rabattschlachten und Aktionspreise also nur ein Marketinggag?

Zum Teil wird das als Marketinginstrument eingesetzt. Ein Pensionist, der viel Zeit hat und mobil ist, kann sich vielleicht überall die Aktionszuckerl holen. Die berufstätige Frau hat aber nicht die Zeit, um in fünf, sechs Geschäfte einkaufen zu gehen. Entscheidend ist also, was kostet der Gesamteinkauf. Mit bestimmten Lockartikeln wird der Eindruck der Günstigkeit erweckt. Unterm Strich holt sich das der Handel übers gesamte Sortiment zurück. Die Lockartikel zahlt sich der Kunde also selbst.

Klaus Wejwoda ist Vorsitzender der österreichischen Wettbewerbskommission, die als beratendes Organ bei der Bundeswettbewerbsbehörde eingerichtet ist.