Ausgerechnet die sonst so kühlen Skandinavier schmeißen die heißeste Party des Jahres. Das hat natürlich seinen Grund.
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Nur einem ausgesprochenen Miesepeter ist in unseren Breiten in der zweiten Junihälfte nicht zum Feiern zumute. Die Sommersonnenwende markiert mit dem längsten Tag des Jahres den Beginn des Sommers. Naturgemäß werden die langen Tage umso mehr herbeigesehnt, je entbehrungsreicher, sprich: dünkler, die Winter sind. So gesehen ist es wenig verwunderlich, dass die Skandinavier die wahren Weltmeister im Sommereinklatschen sind.
In Schweden etwa hat Midsommar den gleichen Stellenwert wie Weihnachten. Es wird an jenem Samstag gefeiert, der zwischen dem 20. und dem 26. Juni liegt, heuer also am 25. Schon am Freitag, dem sogenannten Midsommarafton, sind die meisten Geschäfte geschlossen und die Schweden pilgern aufs Land. Herr und Fru Johansson bringen das Ferienhaus auf Vordermann, lassen das Boot zu Wasser und hissen die blau-gelbe Fahne. Dort, wo noch vor einem Monat der erste zarte Baumflaum spross, steht für die abendliche Party der lange Holztisch im knöchelhohen Gras. Der Hollerstrauch streift mit seinen dichten Blütendolden die Sessellehnen, die Rosenknospen im Beet sind drauf und dran zu platzen. Die Sonne geht um elf, um zwölf oder gar nicht unter - je nach Breitengrad eben.
Es bleibt aber nicht bei der privaten Feier, man tanzt in bunter Tracht gemeinschaftlich in den Midsommar. Die Dorfgemeinschaften stellen den Maibaum auf, "mai" hat in diesem Zusammenhang die Bedeutung von "aufgemotzt", also geschmückt, und zu den melancholischen Geigenklängen der Spielmänner, in denen (bei aller Freude über die warmen Sommertage) in der Ferne schon die Wolken des nächsten Winters aufziehen, tanzen Jung und Alt. Es gibt mit Sicherheit keinen einzigen Schweden, der sich dieses Fest entgehen lässt. Backfische pflücken in dieser Nacht sieben wilde Blumen von sieben verschiedenen Wiesen, die sie zu einem Strauß binden und unter ihr Kopfkissen legen. Wenn sie beim Pflücken still sind, träumen sie in der Nacht von ihrem Zukünftigen. Getrocknete Midsommarblumen helfen aber auch gegen sämtliche Krankheiten. Nur am Rande wollen wir erwähnen, dass das Fest nicht überall so beschaulich über die Bühne geht wie im privaten Garten oder zu Geigenklängen im Volksheim: Säufereien und Schlägereien bei ländlichen Festen haben ebenso Tradition.
In den anderen skandinavischen Ländern sind die Städte ähnlich ausgestorben wie in Schweden, große Feuer gehören hier zum Mittsommerfest. Beim St.-Hans-Fest in Dänemark und Norwegen ebenso wie beim Juhannus-Fest in Finnland. Besondere Mühe geben sich die Finnen mit Feuern, die weithin sichtbar sind, etwa an Stränden oder auf Lichtungen. Ein weiterer essentieller Bestandteil der finnischen Festivitäten zur Sonnenwende ist Lärmen und Trinken. Das beruht auf dem alten Aberglauben, dass Schnaps die bösen Geister vertreibt: Je mehr man in der Juhannusnacht trinkt, desto besser fällt die Ernte aus. Nachdem die Finnen, wenn es um Alkoholkonsum geht, so exzessiv sind wie ihr Ruf, kann man sich gut vorstellen, dass er hier ziemlich rauh zugeht. In den letzten Jahren haben sich im Rahmen der Juhannus-Feiern große Open-Air-Konzerte mit schräg-rockigen Klängen etabliert. Auch auf der anderen Seite der Ostsee, in Estland, Lettland und Litauen nimmt das Jaanipäev-, Jani- respektive Jonines-Fest einen hohen Stellenwert ein.
Symbol Wasser. In Russland, Weißrussland und der Ukraine begeht man das Iwan-Kupala-Fest - hier richtet man sich allerdings nach dem Julianischen Kalender, weswegen der Feiertag nach unserer (gregorianischen) Rechnung erst am 7. Juli stattfindet. Iwan steht für die christliche Figur Johannes des Täufers und Kupula bezeichnet den slawischen Sonnen- und Lichtgott. Wie alle Mittsommerfeste ist das russische Sonnwendfest eine heidnische Tradition, der die Kirche ihren Segen aufgesetzt hat. Viele Bräuche des Iwan-Kupala-Tags sind mit Wasser als Symbol für Fruchtbarkeit und Reinigung verbunden. Junge Frauen lassen mit Kerzen bestückte, von Hand geflochtene Blumenkränze in die Flüsse gleiten und lesen anhand ihres Treibens im Wasser ihre Zukunft ab. Ist ein Mädchen unglücklich verliebt, soll es nach alter Überlieferung dreimal nackt um ein Roggenfeld laufen, um den Begehrten zu bezaubern. Angeblich ist diese Nacht die einzige, in der die Farne blühen, wer eine Farnblume findet, dem ist langes Glück beschieden. Aber auch Feuer dürfen nicht fehlen, als Symbol für die Sonne. Wie auch bei uns springt man über die Feuer, ein Liebespaar, das den Sprung gemeinsam wagt, wird Glück auf seinem weiteren Weg haben.
Der Zeitpunkt der astronomischen Sonnenwende ist nördlich des nördlichen Wendekreises - also etwa in Europa - am 21. Juni. Trotzdem finden viele Feiern am 24. Juni statt, dem Geburtstag Johannes des Täufers. Wie bei anderen Jahreskreisfesten auch war die Kirche schlau genug, die alten heidnischen Bräuche nicht zu verbieten, sondern in christlichen Kontext zu setzen. Die althergebrachten Sonnwendfeiern wurden in Festlichkeiten zu Ehren des heiligen Johannes verwandelt. Statt Sonnwendfeuer flackerten im Mittelalter zunehmends Johannisfeuer auf. Der Landbevölkerung war das freilich egal, sie sprang nach wie vor über die Flammen, um sich vor Hexen und Geistern zu schützen oder um sich baldige Heirat zu sichern. Angebrannte Holzstücke wurden in die Äcker gesteckt, um Ungeziefer fernzuhalten. Der Brauch der Feuer zur Sonnenwende hat sich bis heute erhalten und in Tirol sogar noch um eine Facette erweitert: Hier sind Herz-Jesu-Feuer verbreitet, die in engem Zusammenhang mit den Tiroler Freiheitskämpfern stehen, die sich ebendiese, von den Jesuiten verbreitete Herz-Jesu-Verehrung auf die Fahnen schrieben. Wo diese Tradition gepflegt wird, formen die Feuer Herze oder Kreuze als Zeichen Christi.
Freudenfeuer. Im Gegensatz zu Skandinavien, wo ganze Nationen schon Tage vorher dem kollektiven Mittsommerrausch verfallen, liegt in den Alpen nicht wirklich viel in der Luft. Hier ein Holzstoß, da ein Plakat, darüberhinaus kein fiebrige Hektik, keine rastlosen Vorbereitungen. Das ist im Salzkammergut genauso wie in Tirol oder Bayern. Wen man auch fragt, wo es denn am schönsten sei, man erntet bloß ein Schulterzucken, "is eh überall okay". Fast beschleicht einen das Gefühl, in diversen Fremdenverkehrsprospekten würde die Werbetrommel gerührt für ein Ereignis, das hier gar keines ist: die Sonnwendfeier. Ein bisschen ratlos sucht man sich - wenn man schon einmal da ist - einen Standpunkt aus und macht sich am frühen Abend auf den Weg hinauf auf einen Berg.
Da rätselt man noch eine Zeit lang, ungefähr so lange, bis sich die Sonne entschließt, der Welt für heute den Rücken zu kehren. Wenn es gegen halb zehn mehr dunkel als hell ist, beginnt es auf einmal an den Bergspitzen rundherum zu flackern. Zunächst nur ein Lichtpunkt, dann noch einer und da, ein dritter. Die Akustik ist gut im Gebirge und so hört man zunächst ein sattes Plopp, wenn der Holzstoß entzündet wird, bevor man die Flammen züngeln sieht. Mit jeder Minute, die es später wird, erglühen mehr und mehr Feuer, selbst auf den entlegensten Gipfeln. Wer macht sich nur diese Mühe? Ortskundige Zuseher wissen von der Bergwacht, der Bergrettung, den Naturfreunden, die für dieses und jenes Freudenfeuer verantwortlich zeichnen.
Es dauert eine Zeit lang, bis man sich losreißen kann von den Bergen, die ringsum in Flammen stehen. Zu Ziehharmonikaklängen setzt man sich ans eigene Feuer, wärmt die kühl gewordenen Finger und wundert sich über die neu gemachten Bekanntschaften, die bereits zur Sonnenwende der Melancholie verfallen und seufzen: "Ach weißt, ab jetzt werden die Tage ja wieder kürzer. Das ist eigentlich traurig". Die meisten scheinen sich über den bevorstehenden Sommer aber doch zu freuen.
Auch nicht unspektakulär lässt man an zwei Wochenenden (heuer: 18. und 25. Juni) die Donau in Flammen stehen: Sowohl die Wachau als auch der Nibelungengau eine Woche später rufen zur Mittsommernacht. Tausende kleiner Kerzen werden dem Fluss übergeben und treiben wie ein goldener Teppich in Richtung Wien. Zur Dämmerung werden in den Weinbergen Fackeln entzündet, die das ganze Tal in mystisches Licht tauchen, und sobald es richtig dunkel wird, flackern weithin sichtbar die Freudenfeuer an den steilen Hügeln auf. Das Ende der Party markiert ein großartiges Feuerwerk.
Die südlichsten Sonnwendfeiern finden im Übrigen in Spanien statt. Dort stürzt man sich zur Noche de San-Juan Punkt Mitternacht ins Wasser um so die Sonnenwende zu begrüßen. Das ist gerade in den großen Küstenstädten mit tausenden Einwohnern ein sehenswertes Spektakel - wenngleich es nichts von der Intensität nördlicher Feiern hat.
Inkafeste. Unschwer zu erkennen sind die heidnischen Wurzeln sämtlicher Sonnwendfeiern. Die Kelten beispielsweise teilten ihr rituelles, naturreligiöses Sonnenjahr in acht Stationen auf, die gleichmäßig das Jahr gliedern. Die acht Jahreskreisrituale standen abwechselnd unter Sonnen- (Tag-und Nachtgleichen, Sonnenwenden) und Mondeinfluss (Lichtmess, Walpurgis, Schnitterinnenfest, Halloween). Entsprechend wird in esoterischen Zirkeln die Sommersonnenwende enthusiastisch gefeiert, am Spektakulärsten wohl in Stonehenge. Jedes Jahr finden sich um die 20.000 Mensch ein, um den magischen Moment zu erleben, wenn die Sonnenstrahlen genau in der Mitte des Steinkreises auf den Altarstein treffen. Wer Stonehenge warum und wann errichtet hat, ist bis heute im Dunkel der Steinzeit verborgen. Man nimmt an, dass das Monument als eine Art überdimensionaler Kalender diente, mit dem die Sonnenwenden sowie die nächsten Sonnenfinsternissen vorhersagbar waren. Auf jeden Fall ist Mittsommer in Großbritannien mit seinen keltischen Wurzeln ein guter Grund für eine Handvoll Druiden und Hexen, im Gefolge tausender Schaulustiger Stonehenge aufzusuchen.
Interessanterweise sind Mittsommerfeste hauptsächlich eine europäische Erscheinung - während sie in Asien oder im indigenen Amerika kaum eine Rolle spielen. Eine Ausnahme ist der Andenraum. Die Inka, die sich selbst als Abkömmlinge der Sonne sahen, riefen alljährlich zum Inti Raymi, auf Quechua "Fest der Sonne". Es war eines der größten Inkafeste und fand stets zur Wintersonnenwende statt, also zeitgleich mit unserer Sommersonnenwende. Es galt auch als Neujahrsfest und wurde in der Inkahauptstadt Cusco abgehalten. Das Inti Raymi wurde von den Spaniern verboten, wird aber seit 1944 als buntes Theater in den alten Inkamauern von Sacsayhuaman nahe Cusco zur Begeisterung tausender Besucher wiederbelebt.