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Der Wiener hat ein besonderes Verhältnis zum Spalt. Mögen andere salopp ihre Jeansmarken "Gap" benennen, wir lassen den Spalt sogar triumphal in die gehobene Mundart-Populärkultur eingehen. Bis jetzt kein so öffentlichkeitswirksam debattiertes Thema war freilich der dürre freie Raum zwischen U-Bahntüre und Bahnsteig. Während man in Metropolen wie London höflich bis forsch darauf hingewiesen wird, beim Aussteigen aufzupassen, hat man in Wien bisher munter drauf vertraut, dass der durchschnittliche Fahrgast in der Lage ist, die Füße zu heben ohne entsprechende Anleitung.
Je nun. Das ist jetzt anders. Denn seit Anfang der Woche wird man in vereinzelten Stationen von der freundlichen neuen Dame, die die U-Bahnstationen rezitiert, folgendermaßen angewiesen: "Seien Sie achtsam! Zwischen Bahnsteig und U-Bahntüre ist ein Spalt." Sie kann ja nicht gut sagen: "Hoit, do is a Spoit." Aber das klingt doch ein bisschen bedrohlich. So wie in "Seien Sie achtsam! Sollte Ihrem Gegenüber unvermittelt ein Auge aus der Höhle purzeln, könnte es sich um einen menschenfressenden Zombie handeln." Noch dazu, wenn es kurz darauf vom Perron in den Waggon donnert: "Halten Sie sich bereit!"
Sprachlich empfindliche Menschen haben überhaupt das Gefühl, dass "achtsam" vielleicht nicht ganz das richtige Wort ist. Wikipedia hilft weiter. Hier lernt man: "Historisch ist Achtsamkeit vor allem in der buddhistischen Lehre und Meditationspraxis zu finden." Also doch der richtige Begriff. Mit buddhistischer Gelassenheit kann man bekanntlich bei den Wiener Linien nie etwas falsch machen.