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Seine Heiligkeit, der "Kraut"

Von Christoph Driessen

Politik

Während sich Reporter aus aller Welt auf die Vatikanbrote und Papst-Torten von Marktl am Inn stürzten, hatte der Korrespondent des britischen "Independent" eine andere Idee. Er schaute mal in der Stadtbücherei von Traunstein vorbei, wo der neue Papst zur Schule gegangen war, und fragte nach einer Stadtgeschichte. Die Früchte seiner Lektüre brachte die Zeitung am Freitag unter der Schlagzeile "Im Heimatort des Papstes wurden Nazi-Massaker an Juden verübt."


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Zwar behauptet auch der "Independent"icht, dass Joseph Ratzinger irgendetwas damit zu tun hatte. Genau genommen war er zu dieser Zeit sogar gerade als Deserteur untergetaucht. Aber immerhin: Nichts davon "scheint in der Autobiografie des Papstes erwähnt worden zu sein".

"Panzer-Papa" ( "The Sun" ), "Panzerkardinal" (Agentur PA), "Einpeitscher" ( "Daily Mirror" ), "Gottes Rottweiler" ( "Daily Telegraph" ) - so oder ähnlich wird Benedikt XVI. von der britischen Presse eingeordnet. Ein Foto von ihm als Flakhelfer erscheint schon mal mit der Unterschrift "Soldat Ratzinger" oder "Hitlerjunge Ratzinger". Anders als in Internet-Foren war zwar noch nie von "Ratzinger The Nazi" die Rede, aber wer nicht sehr genau liest, bekommt den Eindruck: Das ist ein Mann mit zweifelhafter Vergangenheit.

Die negative Berichterstattung fällt umso mehr auf, weil Großbritannien zuvor in den weltweiten Lobgesang auf Papst Johannes Paul II. eingestimmt hatte. Nun erscheint dieser fast als liberaler, vor allem aber menschlicher Gegenpol zu seinem kalt-dogmatischen Nachfolger - obwohl die beiden über 20 Jahre eng zusammengearbeitet haben. Eine Zeitung merkt an, dass Ratzinger zwar mehrere Sprachen spreche, aber mit leichtem deutschen Akzent, was irgendwie "unheimlich" wirke - schließlich sprechen so die Bösewichter im Kino.

Seine Heiligkeit, der "Kraut" - das passt für viele Briten eben nicht zusammen. Wie Umfragen ein ums andere Mal belegen: Bei "Krauts" - so der englische Spitzname für die angeblich sauerkrautversessenen Deutschen - denken Briten als erstes an Hitler. Natürlich wissen sie, dass Deutschland schon lange eine Demokratie ist. Nur finden sie Hitler viel interessanter. An diesem Freitag zum Beispiel gab es in der Presse nicht nur Nazi-Storys in Verbindung mit Ratzinger: Die "Daily Mail" (Auflage 2,5 Millionen) schilderte ganzseitig, wie es wohl gewesen wäre, wenn Hitler England erobert und dann zeitweise auf der Insel residiert hätte. Auszug: "Vielleicht mochte er die ausgedehnten Gärten, wo er mit seinem Schäferhund Blondi spielen konnte (...)."

Generationen deutscher Diplomaten haben schon gegen solche Berichte protestiert. Einmal zog der deutsche Botschafter bis in die Höhle des Löwen und erklärte dem Chefredakteur der "Sun" , Deutschland sei eine stabile Demokratie ohne Ambitionen auf ein "Viertes Reich". Tags darauf erschien die Zeitung mit der Schlagzeile: "The Hun talks to the Sun" (Der Hunne redet mit der "Sun" ).

Aufgebrachten Katholiken und Deutschen zum Trost: Es gibt in der britischen Presse auch andere Stimmen zu "Papa Ratzi". Der Kolumnist Charles Moore schreibt, Ratzinger habe gerade auf Grund seiner Erfahrungen in der NS-Zeit "einen besonderen Respekt vor den Juden". Wenn dieser Papst nun von der Welt akzeptiert werde, zeige dies, dass "Deutschlands Ehre unter den Nationen wiederhergestellt" sei. dpa