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Seine vierte Kabinettsumbildung könnte Premier Jospin schwächen

Von Dominik Gries

Politik

Frankreichs sozialistischer Premierminister Lionel Jospin hat am Mittwoch zum vierten Mal in einem Jahr seine seit 1997 amtierende Linksregierung umgebildet. Die populäre Arbeitsministerin Martine Aubry verlässt das Kabinett, um sich ihrer Kandidatur für das Bürgermeisteramt in der nördfranzösischen Industriemetropole Lille zu widmen.


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Zur Nachfolgerin der 50-jährigen Arbeits- und Sozialministerin Martine Aubry ernannte Staatspräsident Jacques Chirac auf Vorschlag Premier Jospins die bisherige Justizministerin Elisabeth Guigou (54), wie Aubry ein politisches "Schwergewicht" in der Sozialistischen Partei (PS). Die Leitung des Justizressorts wird der bisherigen Staatssekretärin im Handelsministerium, Marylise Lebranchu (PS), übertragen. Neuer Handels-Staatssekretär wird Francois Patriat.

Die führende Sozialistin Aubry, Tochter des ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors, scheidet aus dem Kabinett aus, um sich dem Kommunalwahlkampf zu widmen, der sie im kommenden Frühjahr an die Spitze des Rathauses der nördlichen Industriemetropole und sozialistischen Hochburg Lille bringen soll. Aubrys Schritt stand schon seit längerer Zeit fest, bedeutet aber für Jospins Kabinett den erneuten Verlust eines überaus angesehenen und populären Mitglieds. Die beliebteste Politikerin der Linken wird bereits als künftige Regierungschefin oder gar Präsidentschaftskandidatin gehandelt.

Nachfolgerin krempelte Frankreichs Justiz um

Ihre 54-jährige Nachfolgerin Elisabeth Guigou begann ihre politische Karriere 1982 als Beraterin von Staatspräsident Francois Mitterrand und bekleidete neben dem Amt der Justizministerin (seit 1997) auch jenes der Europaministerin. Im Vorjahr wurde sie zur "Politikerin des Jahres" gewählt. Die nach außen kühl wirkende Sozialistin gehört wie Aubry zu den beliebtesten Mitgliedern des französischen Kabinetts. Während ihrer Amtszeit als Justizministerin kann Guigou eine Reform des Strafvollzugs und die Stärkung der Unschuldsvermutung bei der Strafverfolgung auf der Haben-Seite verbuchen. Darüber hinaus führte sie den sogenannten "Pacs" (Pacte civil de solidarité) ein, durch den Lebensgemeinschaften einen Ehe-ähnlichen Rechsstatus erhielten.

Aubry soll Bürgermeisterin in Lille werden

Der Rücktritt von Arbeits- und Sozialministerin Martine Aubry beraubt Frankreichs Linksregierung einer zentralen Persönlichkeit und wirft zugleich die Frage auf, ob das von Premierminister Lionel Jospin dekretierte Ämterhäufungsverbot politisch von Nutzen ist.

Innerhalb eines Jahres hat Premier Jospin damit vier Mal Änderungen in seiner Regierungsmannschaft vorgenommen. Im November 1999 hatte er sich von Wirtschafts- und Finanzminister Dominique Strauss-Kahn trennen müssen, als dieser in den Verdacht geriet, als Rechtsanwalt einst ein Scheinhonorar erhalten zu haben. Vier Monate später wurden auf Grund anhaltender Studentenproteste Erziehungsminister Claude Allegre, sowie Strauss-Kahns Nachfolger Christian Sautter abberufen. Ende August verließ der eigenwillige Innenminister Jean-Pierre Chevenement die Regierung, um gegen Jospins Autonomie-Zugeständnisse an Korsika zu protestieren.

Auch nach vier Umbildungen keine Ruhe im Kabinett

In der Person von Martine Aubry verlässt ein politisches "Schwergewicht" die seit 1997 amtierende Linksregierung. Im Schlüsselministerium für "Arbeit und Solidarität" hat die prinzipientreue Sozialistin - laut Umfragen die beliebteste Linkspolitikerin nach Jospin - die Arbeitszeitverkürzung auf 35 Wochenstunden eingeführt.

Fest steht auf jeden Fall, dass Jospin eine Mannschaft braucht, mit der er zum Parlaments- und Präsidentschaftswahlkampf im Frühjahr 2002 antreten kann. Immer fraglicher wird dabei, ob das Verbot der Ämterhäufung bis zuletzt beibehalten werden kann. Wenn ja, dann müsste der Premier eine Unmenge weiterer Kabinettsumbildungen vornehmen, zumal die gerade erst als Arbeitsministerin bestellte Elisabeth Guigou bei den Bürgermeisterwahlen in Avignon antritt, Umweltministerin Dominique Voynet von den Grünen in Dole, Europaminister Moscovici in Montbeliard und Verkehrsminister Jean-Claude Gayssot im südfranzösischen Beziers.