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Seit Monaten Warnung vor Anschlag in Europa

Von Klaus Geiger

Politik

"Die größte Herausforderung ist, die Hauptstadt und den Rest des Landes vor einer terroristischen Gräueltat zu schützen", sagte Ian Blair im vergangenen Oktober. Blair war kurz zuvor zum neuen Chef von Scotland Yard und damit zugleich zum Polizeichef von London ernannt worden.


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"Es ist völlig unvermeidlich, dass Terroristen einen Anschlag versuchen werden", fügte er hinzu. Seit Donnerstag ist das Unvermeidliche geschehen - und Scotland Yard konnte es nicht verhindern. Auch wenn noch nicht geklärt ist, wer hinter den Anschlägen von London steckt, so deuten die Hinweise bisher doch auf El Kaida.

Nicht nur Blair rechnete damit, dass Terroristen versuchen würden, die britische Hauptstadt anzugreifen. Geheimdienste und Terrorexperten warnten wiederholt davor, dass trotz Monaten relativer Ruhe die Islamisten weiter schlagkräftig seien und Europa ein neuer Anschlag drohe. Sie sind sich auch in einem weiteren Punkt einig: Zwar ist das Netzwerk von El Kaida geschwächt, der einstige Anführer Osama Bin Laden kaum noch aktiv. Islamistische Terroristen aber agieren immer eigenständiger. Ein Beispiel für eine solche isolierte Zelle sei die Hofstad-Gruppe in den Niederlanden, die hinter dem Mord an dem Regisseur Theo van Gogh stecken soll.

Auch der britische Geheimdienst MI5 urteilte in einer seiner letzten Analysen, die Bedrohung von El Kaida und verwandter Gruppen werde "noch für einige Zeit bestehen bleiben". Das klassische Trainingslager in Afghanistan gehöre zwar der Vergangenheit an, doch neue Formen seien heute nicht weniger gefährlich. "Viele der Netzwerke sind nur lose geknüpft", heißt es in einer Analyse des MI5. "Sie haben Verknüpfungen rund um die Welt und werden von gemeinsamen extremistischen Ansichten oder Erfahrungen zusammengehalten." Diese Ansichten sind so attraktiv, dass El Kaida die Kämpfer heute nicht einmal mehr aktiv anwirbt, schätzen Experten. "Ohne die Kampagnen hängt der Heilige Krieg heute von Freiwilligen ab, die sich selbst rekrutieren", meint der dänische Terrorforscher Michael Taarnby. Deshalb sind sich die meisten Geheimdienstler einig, dass die Gefahr nicht abgenommen hat. "Die Dynamik des Heiligen Krieges ist ungebrochen", sagte der Leiter der Abteilung Internationaler Terrorismus beim deutschen Bundesnachrichtendienst (BND), Michael Hildebrandt. "Auch Deutschland gehört in das Bedrohungsspektrum." AFP