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Seitensprung ins Aus

Von Ulrich Zander

Reflexionen

Vor 100 Jahren wurde John Profumo in London geboren. Er war drei Jahre lang britischer Heeresminister, ist aber nur durch die Skandal-Affäre mit dem Callgirl Christine Keeler in die Geschichte eingegangen.


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Profumo mit Ehefrau, nach seinem Rücktritt 1963.
© Foto: Bettman/Corbis

John Profumo wurde zum Hauptakteur und Opfer im größten Polit- und Sittenskandal der britischen Geschichte. Der konservative Heeresminister hatte auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges eine turbulente Liebesaffäre mit dem Callgirl Christine Keeler, das auch in der Londoner Halb- und Unterwelt aktiv war. Keeler turtelte zudem zeitgleich mit dem sowjetischen Geheimdienstoffizier Iwanow. Profumo, zwischen Pflicht und Neigung hin- und hergerissen, belog das Parlament und trat zurück.

Die Nacht ist schwülwarm, als auf dem Landsitz Cliveden in der Grafschaft Buckinghamshire unweit von London unvermittelt zwei Welten aufeinanderprallen. Vom 8. auf den 9. Juli 1961 verspüren die ehrenwerten Gäste von Lord und Lady Astor, darunter der Heeresminister ihrer Majestät, John Dennis Profumo, den Wunsch nach mehr Beinfreiheit. Man begibt sich in den Park, noch im weißen Dinnerjacket, das obligatorische Whiskyglas in der Hand. Dort, am Schwimmbecken, stößt die Gesellschaft auf einen bunten Haufen junger Leute um den Chiropraktiker Stephen Ward. Der liebenswürdige Bohemien hatte seiner Lordschaft Rückenwirbelprobleme in den Griff bekommen und erhielt dafür die Herrschaft über den Pool.

Das provokante Girl

Christine Keeler.
© Foto: Bettman/Corbis

Unter den Partygästen befindet sich auch Christine Keeler. Die reizvolle 19-Jährige mit dem rötlich-braunen Haar badet nackt, im sittenstrengen England ein Tabu. Lord Astors persönliche Gäste und, wie sich noch herausstellen sollte, der schillernde, zwielichtige, teils kriminelle Bodensatz der britischen Gesellschaft verabreden sich zum nächsten Rendezvous, gleich am Abend. Diesmal planschen alle zusammen, diesmal alle angemessen bekleidet.

Mit von der Partie ist der stellvertretende Militärattaché an der sowjetischen Botschaft in London, Jewgeni Iwanow. Man kommt sich näher. "Eugene" Iwanow und Profumo messen ihre Kräfte beim Wettschwimmen, wobei es verboten ist, die Beine zu gebrauchen. Der Minister gewinnt, indem er kräftig strampelt. "Das wird sie lehren, der britischen Regierung zu trauen", sagt er augenzwinkernd. Doch auch Iwanow ist nur bedingt vertrauenswürdig, war er doch im Hauptberuf Offizier des sowjetischen militärischen Geheimdienstes GRU.

Nach dem Badespaß fährt Christine, die bei Ward in London wohnt, mit dem attraktiven, charmanten und trinkfesten russischen "Kuschelbären" nach Hause. Doch auch Profumo, Mitglied der konservativen Partei unter Premierminister Harold Macmillan, wollte mehr als mit Christine im Huckepack über Lord Astors gepflegten Rasen zu hoppeln. Es begann eine Affäre, die ihn Amt und Ansehen kostete und England einen der größten Skandale seiner Geschichte bescherte.

Bald darauf sollen sich Profumo und Iwanow in Wards Appartement geradezu "die Klinke in die Hand" gegeben haben. Der Modearzt hatte mit Keeler und deren Busenfreundin Mandy Rice-Davies eine Art Kuppler- und Callgirl-Ring aufgebaut. Die Liaison Profumo-Keeler-Iwanow wurde Gegenstand zahlreicher Gerüchte in der Londoner Halbwelt.

Auch der britische Sicherheitsdienst bekam Wind von der Angelegenheit und ließ gegenüber Profumo durchblicken, er möge "die Sache" doch lieber beenden. Das tat er auch sehr gentlemanlike durch einen später bekannt gewordenen Brief: "Liebling, in größter Eile, und weil ich dich nicht telefonisch erreichen kann - leider ist mir für morgen Abend plötzlich etwas dazwischengekommen und ich kann nicht kommen. Es tut mir schrecklich leid, besonders weil ich übermorgen verreisen muss, dann Ferien sind und ich dich bis irgendwann im September nicht sehen kann. Verflixt noch mal. Bitte pass gut auf dich auf und laufe mir nicht weg. Love J."

Das Liebesglück hatte nur ein paar Wochen gehalten. Die Gerüchteküche schwelte aber auch im Jahr 1962 weiter, nicht zuletzt, weil Christine Keeler bei diversen Gelegenheiten munter drauflos plapperte. So erzählte sie auf einer Abendgesellschaft einem ehemaligen Parlamentsabgeordneten, Ward habe sie im Auftrag Iwanows gebeten, von Profumo zu erfragen, wann genau die geplante Lieferung von US-Atomwaffen nach Westdeutschland erfolgen solle. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges (die Kuba-Krise im Oktober 1962 brachte die Welt an der Rand der atomaren Vernichtung) klingelten nun bei den Politikern, die von dem sicherheitsrelevanten Dreiecksverhältnis erfahren hatten, sämtliche Alarmglocken. Dennoch beschloss sowohl die konservative Regierung, als auch die oppositionelle Labour-Partei, Profumos Fehltritt aus Staats- und Parteiräson zu vertuschen. Es waren verschiedene Zeitungen informiert, die aber vorerst aus Furcht vor dem scharfen englischen Verleumdungsschutzgesetz nichts veröffentlichten.

Am 14. Dezember 1962 entstieg der Jamaikaner John Edgecombe vor Wimple Mews Nummer 17, Stephen Wards Wohnsitz, einem Taxi und verlangte Christine Keeler zu sprechen. Die weigerte sich, ihn zu empfangen. Edgecombe wurde daraufhin sehr ungehalten, zog seine Pistole und schoss sechsmal in Tür, Fenster und in die Luft. Dann ging er. Niemand war zu Schaden gekommen.

Christines intime Kontakte zur Welt der großen Politik hatten ihre alten Beziehungen zur Londoner Unterwelt nicht verdrängen können. Sie pflegte Liebesbeziehungen zu gleich zwei Männern aus der Karibik, dem schießwütigen Edgecombe, einem mehrfach vorbestraften Schauspielstatisten, und zu dem Jazzsänger und Zuhälter Aloysius Gordon. Edgecombe hatte "Lucky" Gordon aus Eifersucht "die Fresse poliert", so dass die mit 17 Stichen genäht werden musste. Doch auch Lucky war mit der Gesamtsituation unzufrieden. Ein Vierteljahr später sollte er Keeler auf offener Straße mit Fußtritten traktieren. Edgecombe wurde (wegen der Ballerei) festgenommen.

Der Skandal entsteht

Nun übernahm Scotland Yard den Fall. Langsam wurde es auch für Profumo brenzlig, denn die beiden Unterweltler (Edgecombe wurde übrigens wegen der Schießerei zu einer unverhältnismäßig hohen Haftstrafe von sieben Jahren verurteilt) wie auch Mandy "Marilyn" Rice-Davis gaben nun Einzelheiten über Wards lukrativen Callgirl-Ring zu Protokoll. Weit schneller als die Regierung Ihrer Majestät reagierte der Kreml auf den sich abzeichnenden Skandal: Jewgenij Iwanow wurde aus der Schusslinie genommen und nach Moskau abkommandiert.

Derweil erwies sich Christine Keeler, aufgewachsen in ärmlichsten Verhältnissen auf dem Lande (die Familie lebte in zwei ausrangierten Eisenbahnwaggons), als sehr geschäftstüchtig. Im Laufe der "Profumo-Keeler-Affäre" verhandelte sie mit verschiedenen Zeitungen - es war inzwischen Frühjahr 1963 geworden -, doch noch wollte niemand die Geschichtebringen. Es gelang ihr, die Honorare für die Abdruckrechte in beachtliche Höhen zu treiben. Von Profumo will sie übrigens kein Geld genommen haben, mit Ausnahme von 20 Pfund für ihre armen Eltern.

In der ersten Märzwoche des Jahres 1963 erschien dann in einem kleinen Informationsblatt eine Notiz über "einen Minister, der mit einer bekannten Schauspielerin verheiratet ist, über einen russischen Colonel und ein Mädchen". Das kam der Wahrheit schon recht nahe. Tatsächlich war Profumo ehelich verbunden mit der Schauspielerin Valerie Hobson, die als "Edith" in "Adel verpflichtet" bekannt geworden ist.

Kurz darauf forderte ein Oppositionsabgeordneter im Unterhaus die Regierung auf, "die Wahrheit dieser Gerüchte kategorisch zurückzuweisen - oder einen Untersuchungsausschuss einzusetzen".

Profumos Absturz

Die Katze war aus dem Sack. In der Nacht zum 22. März bastelte Profumo gemeinsam mit fünf Ministerkollegen an einer "persönlichen Erklärung", die er am nächsten Morgen vor dem Unterhaus verlas: "Miss Keeler und ich waren befreundet (on friendly terms). Meine Bekanntschaft mit Miss Keeler enthielt nichts Unsittliches", lautete die Kernaussage.

Dieser Satz sollte ihm zum Verhängnis werden. Denn nach und nach rückten alle Beteiligten mit der Wahrheit heraus: Keeler, Rice-Davis, Ward und die Jamaika-Gang. Am 28. Mai entschloss sich Premierminister Harold Macmillan, den von der Opposition geforderten Untersuchungsausschuss einzurichten.

Am 4. Juni legte Profumo ein an den Premierminister gerichtetes Geständnis ab: "Ich muss Ihnen sagen, dass ich mit Christine Keeler geschlafen habe und dass meine Erklärung in diesem Punkt nicht der Wahrheit entspricht". Zuvor schon hatte er seiner Gemahlin gebeichtet. Macmillan ließ ausrichten: "Dies ist eine große Tragödie für Sie, Ihre Familie und Ihre Freunde", und nahm den von Profumo angebotenen Rücktritt an. Es war der 5. Juni 1963.

In London klickten kurz darauf die Handschellen. Stephen Ward landete wegen "Bestreiten(s) des Lebensunterhaltes aus unmoralischen Einkünften" hinter Gittern. Er stammte aus gutem Hause, hatte sich bei der High-Society viele Freunde gemacht. So massierte er unter anderen Winston Churchill, Mahatma Gandhi und Elizabeth Taylor. Er galt auch als ein begabter Porträtzeichner. Prinz Philipp und andere Mitglieder des Hochadels, aber auch internationale Filmstars wie Sophia Loren saßen ihm Modell.

Das traurige Ende

Seine wahre Bestimmung hatte der rührige Salonbolschewist aber in einer Art Geheimdiplomatie gesehen: Ein Global Player in Sachen Entspannungspolitik, ein früher "Make-love-not-war-Vertreter" im Dienste des Weltfriedens. Durch seine Kontakte zu Iwanow, Profumo und einigen anderen britischen Politgrößen, sah er sich für die Vermittlerrolle prädestiniert. Um so tiefer war der Fall. Von allen verlassen und zum Sündenbock erkoren, nahm er sich noch vor der Urteilsverkündung im Alter von 51 Jahren durch eine Überdosis Barbiturate das Leben.

Harold Macmillan trat am 12. Oktober 1963 zurück. Das geschah wohl nicht wegen des Sexskandals oder der Presse, die nun alle pikanten Details phantasievoll berichtete, sondern wegen einer schweren Erkrankung.

Der Sicherheitsdienst und ein unabhängiger richterlicher Untersuchungsbericht stellten im Nachhinein übereinstimmend fest: Der Fall Profumo hatte nichts mit einem Sicherheitsrisiko zu tun, sondern war lediglich auf das moralische Fehlverhalten des Ministers beschränkt - damals, und besonders im puritanischen England (Daily Mirror: "Was zum Teufel ist los in diesem Land?") ein ausreichender Rücktrittsgrund.

John Dennis Profumo zog sich ins Privatleben zurück und widmete sich wohltätigen Zwecken. Er starb 2006 im Alter von 91 Jahren. Jewgenij Iwanow wurde 68 Jahre alt, 1994 erlag er den Folgen seines Alkoholmissbrauchs. Christine Keeler lebt heute noch in London. Mit dem sensationellen Stoff "Playgirl und Minister" befassten sich mehrere Filme, Songs und unzählige Bücher.

Ulrich Zander, geb. 1955, lebt als Journalist in Berlin und ist spezialisiert auf historische, insbesonders kriminalhistorische Themen.