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Selbst für den Teufel zu schlau

Von Markus Kauffmann

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Markus Kauffmann , seit 22 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.

Der Steckbrief: Aachen, 260.000 Einwohner, kreisfreie Kurstadt im Regierungsbezirk Köln, Sitz einer Technischen Hochschule und des katholischen Bistums Aachen. Uralte Kaiserstadt.


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Nirgendwo in Deutschland leben mehr Menschen als in Nordrhein-Westfalen. Entsprechend viele Städte gibt es hier: Köln mit seinem gotischen Dom, Bonn, das alte Hauptstadt-Provisorium, das Modezentrum Düsseldorf, die Ruhrmetropolen Essen oder Dortmund, die Bischofs- und Universitätsstadt Münster, Duisburg mit dem größten Binnenhafen des Kontinents oder die alte westfälische Bischofs- und Hansestadt Paderborn mit ihrem mächtigen Dom.

Und, als Weltkind in der Mitten, Aachen, einst "Hauptstadt Europas". Als Kaiserpfalz unter Kaiser Karl dem Großen und als mittelalterlicher Krönungsort war Aachen prägend für die europäische Kultur- und Geistesgeschichte.

Aachen ist die "erste Stadt Deutschlands" - geografisch, wenn man von Belgien oder Holland einreist oder lexikalisch, wenn man das Wörterbuch aufschlägt. Die beiden "Aa" am Anfang sind den Stadtvätern so wertvoll, dass sie sogar auf den Ehrentitel "Bad" verzichten, der ihrer Stadt eigentlich zustünde, sie aber den ersten Platz im Alphabet kosten würde.

Apropos "Bad": Die Aachener Thermalquellen zählen mit mehr als 70° Celsius zu den heißesten Quellen Mitteleuropas. Rosenquelle, Kaiserquelle, Mephistoquelle - sie entspringen zwei ergiebigen Quellzügen und haben der Stadt nicht nur sprudelndes Wasser sondern auch sprudelnde Einnahmen als Kurort und zahlreiche bäderarchitektonische Schmuckstücke beschert.

Beispielsweise Aachens Wahrzeichen, den "Elisenbrunnen": Namensgeberin war die preußische Kronprinzessin Elisabeth von Bayern, die häufig als Besucherin die Vorzüge Aachens genoss. Als repräsentatives Bauwerk und Attraktion für die Kurgäste in streng klassizistischem Stil von Friedrich Schinkel erbaut, wurde er 1827 eingeweiht. Neben Marmortafeln über die berühmten Kurgäste - wie Georg Friedrich Händel, Peter der Große und Casanova - prangt die Büste Elisabeths. In der Rotunde sprudelt heißes Thermalwasser aus zwei Brunnen. Im 19. und 20. Jahrhundert stieg Aachen zum mondänen Modebad auf und alles, was Rang und Namen hatte, traf sich in den Bädern.

Das war nicht neu! Schon im letzten vorchristlichen Jahrhundert könnte sich dort ein Heiligtum des keltischen Quell- und Wassergottes Grannus befunden haben. Von den Römern ist belegt, dass sie die Aachener Quellen genutzt haben. Der Legende nach soll das Pferd des Großen Karl die Quellen wiederentdeckt haben, als es im Schlamm einsank. Sogar ihren Namen verdankt die Stadt dem Wasser beziehungsweise dem althochdeutschen Wort dafür: Ahha.

Das größte Juwel Aachens ist jedoch der berühmte Dom mit der noch berühmteren oktogonalen Pfalzkapelle. Am Hauptportal prangen zwei Löwenköpfe. Im Maul des rechten kann man den Daumen des Teufels sehen und fühlen. Als den

Aachenern das Geld für die Kapelle ausgegangen war, sprang er mit dem fehlenden Betrag ein, unter der Bedingung, die erste Seele zu bekommen, die das fertige Münster betritt. Die schlauchen Aachener trieben einen frisch gefangenen Wolf in die neue Kirche, worauf der Teufel so zornig wurde, dass er sich an der Kirchentür den Daumen abriss. Sollten Sie ihn da herausziehen können, bekommen Sie vom Domklerus ein goldenes Kleid - angeblich.

Gewöhnungsbedürftig, aber gemütlich tönt einem das "Öcher Platt" entgegen, der Aachener Regiolekt. Und wenn Sie den Satz verstehen: "Oche sall blive, wat et at ömmer wor: en Stadt met nette Mensche, die et Hazz doe hant, woe et henjehürt", dann steht dem Goldkleid nicht mehr viel im Wege.

Markus Kauffmann, seit 25 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.