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Selbst-Kastration

Von Walter Hämmerle

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Früher hatten die Großparteien die Vereinfacher noch in den eigenen Reihen. Dann glaubten sie, diese auslagern zu müssen. Und jetzt wundern sie sich über den Aufstieg der Populisten.


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Jetzt hat es also sogar die Schweden erwischt! Nicht einmal die Erfinder des europäischen Wohlfahrtsstaatsmodells schlechthin haben sich als immun gegen das hochansteckende Virus der Rechtspopulisten erwiesen. Anderswo haben sich die Wähler diesem schon weitaus früher willig hingegeben.

Seit rund 20 Jahren sind nun die einstigen Großparteien wie auch die unermüdlichen Kämpfer für eine bessere Welt auf der Suche nach erfolgversprechenden Rezepten gegen die großen Vereinfacher an den Rändern des politischen Spektrums. Die Erfolge sind - nun ja, sagen wir überschaubar. Und mediale Wählerbeschimpfungen haben sich bisher ebenfalls nicht als zielführend herausgestellt.

Stattdessen empfiehlt sich eine nüchterne Problemanalyse. Deren Grundannahme besagt: Emotionen wie Ängste und Sorgen sind fixer Bestand von Politik, auch und wahrscheinlich sogar vor allem in ihrer demokratischen Variante. Solche Gefühle tragen mitunter, wenngleich keinesfalls immer ein irrationales Element in sich. An ihrer subjektiven Wirkmächtigkeit ändert das nichts. Ausländer, der Islam oder die Europäische Union eignen sich ganz wunderbar als Projektionsflächen für solche Gefühle.

Warum steht die etablierte Politik dieser Entwicklung so sprach- und hilflos gegenüber?

Eine Ursache ist der Trend hin zu einer Verengung der politischen Perspektiven: Die Volksparteien rechts und links der Mitte gaben - in der Hoffnung auf neue Mehrheiten dank einer ominösen "neuen Mitte" - ihre politischen Ränder fast kampflos an die politische Konkurrenz ab. Die Populisten aller Lager ließen sich bekanntlich nicht zweimal bitten .. .

Mittlerweile haben die Großparteien die Bedeutung des politischen Flügelspiels zumindest in der Theorie wieder neu entdeckt. Allein es fehlt heute sowohl an glaubwürdigem Personal als auch an den entsprechenden Strukturen, die abgewanderten Wähler wieder an sich zu binden.

Dies wird nicht zuletzt durch die Enge des politischen Diskurses erschwert, wobei festzuhalten ist, dass sich diesen die Parteien - wenngleich in durchaus raffiniertem Wechselspiel mit den Medien - selbst zuzuschreiben haben. Dadurch haben sich die Debatten in vielen, mitunter zentralen Themenbereichen quasi selbst kastriert.

Am Ende könnte nun die Einsicht stehen, dass in der Vergangenheit oft verfemte und angefeindete Stahlhelm-Fraktionen in den großen Parteien eine essenzielle Rolle in einer liberalen Demokratie ausüben. Zumindest in der Vergangenheit waren diese die Garanten dafür, dass SPÖ wie ÖVP ihre auseinanderstrebende Klientel integrieren konnten.

Doch irgendwann in den 1980er und den 1990er Jahren begannen beide Parteien, ihre ideologischen Flügelspieler nicht mehr als Chance, sondern als Ballast zu empfinden. Diese wurden nun nicht länger als unerlässlich für die Integrationskraft einer Volkspartei betrachtet, sondern nur noch als antiquarische Störfaktoren in einer neuen, primär von den Medien

geschaffenen politischen Hochglanzwelt.

Das zu beklagen, hat nichts mit einer Absage an moralische Begriffe wie "gut" und "böse" in der politischen Debatte zu tun, im Gegenteil sogar. Aber es hat viel damit zu tun, Sorgen und Ängste von Bürgern ernst zu nehmen, statt sie öffentlichkeitswirksam als Ausdruck eines falschen politischen Bewusstseins zu geißeln. Immerhin bestimmt in unserer materialistischen Welt für die allermeisten immer noch das Sein das Bewusstsein.