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Selbsteinschätzungen sind ein Problem

Von Ernest G. Pichlbauer

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Dr. Ernest G. Pichlbauer ist unabhängiger Gesundheitsökonom und Publizist.

Alle Menschen glauben, überdurchschnittlich zu sein - objektiv betrachtet, ist das unmöglich, subjektiv nicht. Ärzte sind da keine Ausnahme.


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Selbstbetrachtung wird rasch Selbstbeweihräucherung! Wer das verhindern will, braucht Transparenz. Wer sich selbst evaluieren und dabei ernst genommen werden will, muss sowohl Methode als auch Ergebnisse detailliert veröffentlichen. Unter diesen Voraussetzungen wäre eine Selbst-Evaluierung möglich - sonst nicht! Die Ärzte haben sich selbst evaluiert, aber auf Transparenz verzichtet.

Worum geht es? Nach endlosen Verhandlungen hat die Ärztekammer durchgesetzt, dass die Qualitätskontrolle der niedergelassenen Ärzte nicht durch eine objektive Stelle erfolgt, sondern durch eine ärzte- eigene Einrichtung - die ÖQMed.

Diese Einrichtung hat im stillen Kämmerchen eine Methode entwickelt, mit der sie dann 18.000 Ordinationen "qualitätsgecheckt" hat. Mehr als 1000 Ordinationen wurden daraufhin wegen Qualitätsmängeln geschlossen, gerade elf davon waren Kassenordinationen. Detailliertere Ergebnisse fehlen.

Die Ärztekammer verkauft das als Erfolg und feiert sich: "Die Patienten können sich auf die Qualitätsarbeit ihrer Haus- und FachärztInnen verlassen". Die Medien auf der anderen Seite schmeißen sich auf die geschlossenen Ordinationen und stellen die niedergelassenen Ärzte in ein schlechtes Licht. Beide Reaktionen sind typisch und beide falsch.

Schauen wir genauer. Da 18.000 Ordinationen geprüft wurden, es aber nur etwa 7000 Kassenärzte gibt, muss es also auch andere betreffen. Von den 11.000 "Nicht-Kassen-Ordinationen" sind sicher viele Wahlarztordinationen. Seien wir großzügig und nehmen an, dass 5000 davon wirklich der Patientenversorgung dienen. Bleiben 6000 Ordinationen übrig, die wohl aus anderen Gründen bestehen.

Viele Wahlarztordinationen werden eher aus steuerrechtlichen Gründen geführt und kaum von Patienten frequentiert. Dann gibt es die sogenannten "Zweit-Ordinationen". In der Regel handelt es sich dabei um Wohnungen, die ebenfalls wegen steuerrechtlicher Vorteile als Ordinationen gemeldet sind. Auch hier findet keine substantielle Patientenversorgung statt. Und dann gibt es noch jene Ordinationen, die wohl nur aus Gewohnheit weitergeführt werden. Viele pensionierte Ärzte, die ein Leben lang im Erdgeschoß des eigenen Hauses ordinierten und daran gewöhnt sind, eine Ordination zu haben, melden diese nicht ab - selbst wenn sie eigentlich nur mehr Abstellkammerln sind.

All diese "unechten" Ordinationen dienen kaum der Patientenversorgung und müssten daher nicht so ausgerüstet sein wie die "echten". Es verwundert eigentlich, dass nicht deutlich mehr als 1000 Ordinationen wegen Qualitätsmängeln geschlossen werden mussten. Was übrigens die "echten" Ordinationen betrifft, haben alle bis auf elf "entsprochen".

Wenn also nur ein Promille der "echten" Ordinationen die Kriterien nicht erfüllt und die meisten "unechten" ebenfalls ausreichend ausgestattet sind, wenn also im Grunde alle - trotz der massiven Unterschiede, die jeder Patient beobachten kann - die Prüfung "gleich gut" bestehen, dann wird deutlich, dass die jetzige Evaluierung nicht wirklich Qualität misst. Es hat eher den Anschein, dass statt ernstzunehmender Qualitätsvorgaben nur der kleinste gemeinsame Nenner überprüft wird. Die Qualität der Versorgung kann damit nicht dokumentiert werden. Genau genommen werden eigentlich Ordinationen nur auf eine sehr komplizierte Weise gezählt. Ob für so ein Ergebnis 700.000 Euro - soviel kostet die Evaluierung jährlich - nicht zuviel sind?