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Al-Kaida wechselt die Strategie von Mega-Terror auf "1000 Nadelstiche im Kriegsgebiet" in Europa und den USA.
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"Wir suchen individuelle Gotteskrieger, die im Feindesland Christen, Juden und Ungläubige töten." Strategisch noch deutlicher sind zwei Sätze in der ungenierten Internet-Werbung der Al-Kaida: "Wenn ein Einzelner Operationen plant und ausführt, hat der Feind weniger Chancen, ihn zu finden." - "1000 Nadelstiche im Kriegsgebiet!" Obschon sich Al-Kaida in rund 50 Staaten eingenistet hat, lahmt ihre operative Schlagkraft durch erhebliche Verluste in den Führungsgremien und den "Verschleiß" an Selbstmordattentätern. Das soll der Strategiewechsel kompensieren.
Der Kontrast zum Mega-Terror ist unübersehbar: Olympia-Attentat 1972 in München: 19 Tote. Angriff am 11. September 2001 auf die New Yorker Twin Towers: 3000 Tote. Attentate 2004 auf Züge in Madrid: 191 Tote. Anschläge 2005 auf Londoner U-Bahnen: 52 Tote. Seither Ruhe im westlichen "Kriegsgebiet".
Selbstmordattentatsserien im Orient alarmieren uns so wenig, wie es den Bürger in Goethes "Faust" nicht bekümmerte, "wenn hinten weit in der Türkei die Völker aufeinander schlagen". Ist doch so weit weg. Der Massenmörder Anders Breivik führte der konsternierten Welt vor Augen, wie sich ein Einzeltäter Sprengstoff und Waffen beschaffen und überraschend zuschlagen kann.
Gewiss begünstigen geheimdienstliche Pannen den Terrorismus. So fiel weder dem FBI noch der CIA auf, dass die arabischen 9/11-Akteure in Florida Flugunterricht nahmen und dabei auf perfektes Landen keinen Wert legten. Und deutsche Kriminalisten nahmen zwar die Fährte des dreiköpfigen "Nationalsozialistischen Untergrunds" auf, griffen aber mangels Koordination nicht zu. Ergebnis: Von 2000 bis 2006 wurden neun Ausländer ermordet.
In den 1970ern wurden die Baader-Meinhof-Banditen und die Rotbrigadisten besiegt - auch, weil sie einen erheblichen Teil ihrer kriminellen Energie für Konspiration, Tarnung und Logistik aufbrauchten und nicht von religiösem Fanatismus beflügelt waren: Selbstmordattentäter kommen als "Märtyrer" sofort ins Paradies. Im Gegensatz zum Mega-Terror haben "individuelle Gotteskrieger" geringen technischen und konspirativen Aufwand und brauchen auch wenig Ausbildung für "1000 Nadelstiche im Kriegsgebiet": unauffälliges Verhalten im Alltag, Erkunden von Ziel und Zeitpunkt des Anschlags und Zündung einer Bombe. Natürlich beherrschen die Spezialisten des deutschen BKA oder der britischen MI5 alle Techniken der Überwachung: Wer besucht wie oft welche Moscheen radikaler Islamisten? Mit wem hält er wie besonderen Kontakt? Mit welchen Fluglinien und unter welchem Namen reist er auf verschlungenen Wegen wohin und zurück? Prominente Deutsche in Politik und Wirtschaft tauchten bereits auf Listen der "Gotteskrieger" auf. Wer schützt sie "unauffällig" und doch wirksam? All das bindet viel Sicherheitspersonal, dehnt die "Abwehrfront" und zehrt an den Ressourcen - und zwar umso mehr, je länger die Liste der "Zielpersonen" anwächst.
Wir müssen uns damit abfinden, dass es gegen Terrorismus kein Patentrezept gibt - schon gar nicht gegen Selbstmordattentäter, die zu "Märtyrern" werden wollen.