Brauchen wir an den österreichischen Universitäten neben einer Steuerung auch Studiengebühren?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Man stelle sich vor, wir hätten in Österreich das heutige Verkehrsaufkommen, aber keine Straßenverkehrsordnung oder sonst eine Regelung, wie wir uns auf den Verkehrsflächen zu verhalten haben. In regelmäßigen Abständen wird ein Eingreifen der Politik verlangt. Die beiden Regierungsparteien aber vertagen eine politische Entscheidung jedes Mal, da sie über die Maßnahmen uneinig sind: Die SPÖ vertraut auf die Selbstregelungskraft der Verkehrsteilnehmer, die ÖVP will den Verkehr durch die Einführung einer Vignettenpflicht regeln. Einig ist die Regierung nur darin, keine zusätzlichen öffentlichen Investitionen in den Straßenbau zu tätigen.
Diese fiktive Darstellung der Verkehrspolitik ist in der österreichischen Hochschulpolitik Realität. Seit Jahrzehnten sind die Regierungsparteien uneinig, ob die Universitäten nicht oder durch Einhebung von Studiengebühren gesteuert werden sollen. Mit dem Universitätsgesetz 2002 hoffte die Politik, sich des Problems der Steuerung durch Ausgliederung der Universitäten zu entledigen. Diese Rechnung ging zwar nicht ganz auf, war aber auch nicht völlig unrichtig, denn die Ausgliederung führte zu neuen Allianzen von Politik und Unimanagement.
Zunächst erforderte der mit der Freizügigkeit von Studierenden in der EU verbundene Zustrom deutscher Studierender Maßnahmen. Dadurch wurde in Österreich im letzten Jahrzehnt der freie Zugang sukzessive eingeschränkt, Medizin machte den Anfang und andere Fächer folgten mit Aufnahmeverfahren. Dann bewirkte die mit dem UG 2002 eingeführte teilweise Output-orientierte Finanzierung der Universitäten, dass die sogenannte Prüfungsaktivität von Studierenden zum Thema wurde. Da rund ein Drittel der österreichischen Studierenden kaum ein Minimum an Prüfungen ablegt, ist einerseits der Output an Absolventen im Verhältnis zur Zahl der Studierenden gering, anderseits verursachen auch Prüfungsverweigerer Kosten. Mit diversen Modellen von Studieneingangsphasen trachtet das Management danach, die Unverbindlichkeit von Studienentscheidungen in den Griff zu bekommen. Es mag sein, dass diese Maßnahmen ausreichen, jene Beliebigkeit auszuschalten, die zufriedenstellende Lern- und Lehrsituationen verhindern. Jedenfalls ist ihren Wirkungen nachzugehen, denn daraus kann man Erkenntnisse gewinnen, welch andere Maßnahmen ergriffen werden müssen. Modelle sowohl einer angebots- als auch einer nachfrageorientierten Steuerung wären vorhanden.
Ausgaben über dem OECD-Durchschnitt
Der bisherige Verzicht auf eine Steuerung der Studierendenströme hat zur Folge, dass die Arbeitssituation von den Hochschullehrern und Studierenden und die finanzielle Ausstattung der Universitäten vielfach als äußerst mangelhaft erfahren wird, obwohl die jährlichen Hochschulausgaben pro Studierendem mit 15.039 US Dollar über dem Durchschnitt der EU19 (12.084 Dollar) und dem OECD-Durchschnitt (12.907 Dollar) liegen. Mehr als Österreich geben die nordischen Staaten, die Schweiz und Kanada aus, die Niederlande und Großbritannien liegen etwa gleich mit Österreich, die anderen Staaten dahinter. Spitzenreiter in den Ausgaben sind die USA mit 27.010 US Dollar pro Studierendem, allerdings sind davon nur 10.002 Dollar öffentliche Gelder. Der hohe Anteil, den die Studiengebühren in den USA ausmachen, drückt sich darin aus, dass der überwiegende Teil der Ausgaben in Bildung und sonstige Dienstleistungen für Studierende fließt. Es werden nämlich rund 22.000 für eigentliche Bildungsdienstleistungen ausgegeben. In Österreich sind dies 10.439 Dollar. Allerdings bedeutet private Finanzierung nicht automatisch mehr Geld für die Universitäten: Japan und Korea, Staaten mit einem hohen privaten Anteil an den Hochschulausgaben, liegen mit 14.201 bzw. 8.920 US Dollar pro Studierendem jährlich hinter Österreich.
Ist es in dieser Situation ratsam, im Zuge der Implementierung von Zugangsregelungen bzw. einer Steuerung der Studierendenströme auch Studiengebühren einzuführen? Zwei Argumente sprechen dagegen: erstens die oben angeführte vergleichsweise gute Finanzierung der österreichischen Universitäten. Diese Daten wurden bisher ignoriert oder durch Anzweifeln der Erhebungsmethode oder mit dem Hinweis, dass damit die Universitäten ohnehin nicht klagen dürfen, abgetan. Ehe man weitere Finanzquellen erschließt, wäre es nur redlich, diese publizierten vergleichsweise hohen jährlichen Ausgaben pro Studierendem ernst zu nehmen oder vermuteten Fehlern nachzugehen und sie zu belegen. Denn auch bei den Universitäten wird wohl gelten, was sonst die Politik vorgibt, nämlich ausgabenseitig zu sparen.
Zweitens wäre die Finanzierung der Hochschulbildung einer grundsätzlicheren Debatte zu unterziehen. Die Universitäten haben sich von den "Lehrwerkstätten" des öffentlichen Sektors zu denen des privaten Sektors gewandelt. Die soeben veröffentlichte Studie zur Arbeitssituation von Universitäts- und Fachhochschulabsolventen der Jahrgänge 2003/04 bis 2007/08, die im Auftrag des Wissenschaftsministeriums durchgeführt wurde, zeigt dass rund 30 Prozent im öffentlichen, rund 60 Prozent der Absolventen im privatwirtschaftlichen und der Rest im Non-Profit Sektor beschäftigt sind. Somit hat sich das Verhältnis von Akademikerbeschäftigung im öffentlichen und privatwirtschaftlichen Sektor in den letzten 25 Jahren umgekehrt. Die öffentliche Hand hat im Dienst einer "österreichischen Standortpolitik" dieses Upgrading der Ausbildung der Beschäftigten des Privatsektors getragen. Wäre es jetzt nicht Zeit, ein Kostensplitting zu überlegen? Oder sieht die Politik ihre Aufgabe darin, die öffentliche Funktion der Hochschulen völlig abzuschaffen und diese wie in England dem Wirtschaftsministerium zu unterstellen? Für einen Altphilologen wären dies wohl keine rosigen Aussichten.
Siehe auch:Präzedenz-Fall im Uni-Universum
+++ Analyse: Kippt Badelt den offenen Uni-Zugang oder findet die Politik einen Ausweg?