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Selbstschutz oder Staatsterror?

Von Christian Fürst

Politik

Jerusalem - Israels Ministerpräsident Ariel Sharon macht aus seiner Freude über die Liquidation von sechs Hamas-Aktivisten in Nablus keinen Hehl. "Dies ist einer unserer größten Erfolge", meinte er nach dem Raketenangriff auf das Hamas-Hauptquartier am Dienstag.


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Doch Sharon und seine Armeeführung blieben mit dieser Einschätzung ziemlich allein. Die "Hinrichtung" der beiden Hamas-Führer brachte Israel weltweite Kritik ein. Doch auch in Israel fragten fast alle Beobachter nach dem Sinn dieser Militäraktionen, die Israelis "Präventivmaßnahme", die Palästinenser aber "Staatsterror" nennen.

Die Politik der "vorbeugenden" Liquidation politischer und militärischer Feinde hat System. Israel glaubt für sein Vorgehen gute politische Gründe zu haben: Mit der gezielten Tötung führender Aktivisten, die nach Erkenntnissen der Geheimdienste an Planung und Ausführung von Terroranschlägen beteiligt waren, soll zum einen die Infrastruktur der Gewalt zerstört werden; zum anderen führen die Attacken zur Verunsicherung der palästinensischen Bevölkerung. Die Liste der von Israel Ermordeten ist jedenfalls lang.

Die Argumentation internationaler Rechtsexperten, wonach die Liquidationen gegen das Völkerrecht verstoßen, will die Regierung in Jerusalem nicht gelten lassen. Israelische Militärexperten betonen immer wieder, dass die physische Zerstörung des palästinensischen Terrorpotenzials deren Fähigkeit zu Anschlägen verringere. Zudem wird argumentiert, die Justiz der palästinensischen Autonomiebehörde sei praktisch funktionsunfähig. Unter Missachtung der 1998 in Wye getroffenen Vereinbarungen hat Palästinenserpräsident Yassir Arafat im Oktober Hunderte tatsächlicher oder mutmaßlicher Extremisten aus den Gefängnissen entlassen und sie entgegen der im Juni geschlossenen Waffenruhe-Vereinbarung auch nicht wieder verhaftet. Die Jagd auf Extremisten ist für die Mehrheit der Israelis reine Selbstverteidigung.

Doch die tödliche Jagd auf die Palästinenser hat dem israelischen Ansehen im Ausland schwer geschadet, denn fast regelmäßig werden bei den "vorbeugenden Schlägen" auch Unschuldige getötet, wie die beiden Kinder, die den jüngsten Angriff gegen das Hamas-Büro mit dem Leben bezahlten.

Kritiker mahnten auch am Mittwoch, dass die oft unangemessen scheinende Gewaltanwendung lediglich zu einer Eskalation der Gewalt führt und jeden Weg zu einem Verhandlungsfrieden verstellt.

Der Israeli Gershon Baskin, Leiter eines israelisch-palästinensischen Friedensinstituts, meinte, die Politik der Regierung Sharon sei schlicht das Ergebnis wachsenden Drucks aus der eigenen Bevölkerung, die durch Terror und Gewalt zutiefst verunsichert ist. "Diese Regierung regiert nicht mehr, sie reagiert nur noch." Und der linksliberale israelische Oppositionsführer Yossi Sarid warnte: "Die Besetzung der Palästinensergebiete, die vor 34 Jahren begann, ist eine Fabrik zur Produktion von Terrorismus. Terrorismus wird nur ausgerottet werden, wenn diese Fabrik geschlossen, das heißt die Besetzung beendet ist."