Justizminister Brandstetter über seine Pläne mit dem Maßnahmenvollzug, den U-Ausschuss und die Strafrechtsreform.
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"Wiener Zeitung": In den vergangenen Wochen ist es im Justizbereich ziemlich turbulent zugegangen. Wie gehen Sie als relativ neuer Minister persönlich damit um?Wolfgang Brandstetter: Für mich ist das ein durchaus positiver Stress. Es bedeutet große Herausforderungen, aber wir haben jetzt auch die große Chance, Veränderungen herbeizuführen, die ich für sehr notwendig halte.
Nach den bekannt gewordenen Fällen von Vernachlässigung und Misshandlung haben Sie angekündigt, die Vollzugsdirektion aufzulösen. Sie haben auch gemeint, die Probleme im Strafvollzug seien in den letzten Jahren vernachlässigt worden. Woran krankt das System?
Dass der Strafvollzug als Problembereich jahrelang stiefmütterlich behandelt wurde, ist in Fachkreisen unbestritten. Um die Zustände zu verbessern, müssen wir auf mehreren Ebenen mit unterschiedlichem Zeithorizont ansetzen. Zuallererst muss sichergestellt werden, dass im Maßnahmenvollzug, wo offensichtlich die medizinische Betreuungskapazität nicht ausreicht, rasch Verbesserungen erzielt werden. Wir sind derzeit dabei, die Betreuung zu verbessern und prüfen in Einzelfällen auch, ob Insassen, die nicht optimal betreut werden, in psychiatrische Krankenhäuser transferiert werden könnten. Im nächsten Schritt werden wir die medizinischen Betreuungskapazitäten im Maßnahmen- und im Strafvollzug evaluieren und schauen, wo wir mehr Personal brauchen. Dort, wo dadurch die Betreuungssituation langfristig verbessert werden kann, erfolgt die Zuweisung der hundert neuen Planstellen. Da geht es auch darum, die Justizwachebeamten zu entlasten und ihre Motivation wieder zu heben.
Welche langfristigen Maßnahmen wird es geben?
Der nächste Schritt ist die Organisationsreform. Es braucht eine straffere Organisationsstruktur, die es uns ermöglicht, einen raschen und sicheren Informationsfluss sicherzustellen. Und schließlich werden wir uns auf Basis der Vorschläge von Fachleuten die Gesamtstruktur des Strafvollzugs ganz neu anschauen. Wir müssen uns überlegen, ob es wirklich Sinn macht, den Maßnahmenvollzug als Anhängsel zu gewöhnlichen Strafvollzugsanstalten zu betreiben oder ob es nicht besser wäre, die Unterbringung in psychiatrischen Kliniken sicherzustellen oder allenfalls eine spezialisierte psychiatrische Einrichtung dafür zu schaffen. Und es ist notwendig, zu hinterfragen, welche Struktur an Strafvollzugs- oder Sonderanstalten dieses Land wirklich braucht.
Sie können sich also vorstellen, einzelne Justizvollzugsanstalten zuzusperren und das Budget umzuschichten?
Das wäre eine Detailvariante, die sich durchaus ergeben kann. Ich bin da für alles offen. Das einzig Fixe ist das Ziel, die bestmögliche Betreuung sicherzustellen, die auch für das Betreuungspersonal tragbar ist.
Ein Tag in einer JVA kostet 100 Euro, ein Tag im Pflegeheim 600. Wie sollen sich Verbesserungen für 1000 Häftlinge im Maßnahmenvollzug budgetär ausgehen?
Allein der Zustand, dass die Betreuungsleistung im einen Fall vergleichsweise wenig kostet und im anderen extrem teuer ist, ist reformbedürftig. Wir haben in den letzten Tagen Angebote von psychiatrischen Kliniken bekommen, die einsehen, dass der übliche Tarif für das Justizbudget schwer machbar ist. Es geht vielleicht zu vernünftigeren Konditionen. Wenn hier alle Betroffenen konstruktiv zusammenwirken, schaffen wir das.
Glauben Sie wirklich, dass Sie Geld aus dem Gesundheitsbudget oder auch von den Ländern bekommen werden?
Ja, ich glaube das. Und zwar deshalb, weil es nicht allein um die Frage geht, wer wie viel zahlen kann. Wir müssen gemeinsam eine intelligentere Struktur finden, um kostengünstig die optimale Betreuung sicherstellen zu können. Wenn alle an einem Strang ziehen und nicht immer nur jeder sein Budget verteidigt, dann bin ich optimistisch, dass sich auch die Länder beteiligen.
Das klingt, als wäre das in Österreich unmöglich.
Dann wird es Zeit, dass wir damit beginnen. Ich habe auch schon aus der Regierung positive Signale für einen Schulterschluss.
Bis wann wollen Sie den Umbau des Strafvollzugs erreichen?
Die Erarbeitung einer völlig neuen Struktur der Betreuung hängt von vielen Faktoren ab. Aus meiner Sicht wäre es notwendig und realistisch, das Gesamtvorhaben innerhalb der laufenden Legislaturperiode abzuschließen.
Für Herbst ist im Nationalrat ein Untersuchungsausschuss zum Maßnahmenvollzug geplant. Würden Sie aussagen?
Ja, selbstverständlich. Der Nationalrat ist der Souverän, das ist für mich überhaupt kein Thema. Unabhängig davon halte ich es bei Untersuchungsausschüssen für notwendig, dass es zu keiner Beeinträchtigung strafrechtlicher Ermittlungen kommt. In der Causa Stein gäbe es hier momentan ein Problem, weil Ermittlungen anhängig sind. Zweitens muss die Geschäftsordnung dahingehend geändert werden, dass die Stellung der Auskunftspersonen rechtsstaatlich verbessert wird.
Ein anderes aktuelles Thema ist Ihr Entwurf zur Reform der Strafprozessordnung. In der Begutachtung gab es massive Kritik an der Wiedereinführung des Mandatsverfahrens auch bei unbedingten Haftstrafen. Für die Rechtsanwaltskammer war der Vorschlag eine "grundrechtsferne administrative Bewältigung der Justiz". Ist man hier über das Ziel hinausgeschossen?Ehrlich gesagt, glaube ich das nicht. Ich weiß, dass die berufsrechtlichen Interessensvertretungen zu blumigen Formulierungen neigen, das ist auch gut so. Aber ich stehe zu dem Entwurf. Im Sinne der Ziele - Verfahrensökonomie, Verfahrensbeschleunigung, Verfahrensvereinfachung - ist er sehr gut. Aber unser Interesse ist konsensorientierte Sachpolitik. Ich muss darauf achten, dass gerade im strafrechtlichen Bereich die von uns vorgeschlagenen legistischen Änderungen auf möglichst breiten Konsens stoßen. Das ist in diesem Punkt nicht der Fall. Auch von Seiten der Sozialdemokraten gibt es starke Vorbehalte dagegen. Daher wird es aufgrund einer Strafverfügung keine unbedingte Haft geben können. Ich muss Ihnen ganz offen sagen, dass ich ein Begutachtungsverfahren auch ernst nehme. Niemand kann einen Minister daran hindern, durch ein Begutachtungsverfahren klüger zu werden.
Sie bleiben aber beim Mandatsverfahren an sich - es werden dann aber nur Geld- und bedingte Haftstrafen ohne Gerichtsverhandlung möglich sein?
Natürlich. Der Feinschliff und ein paar Abstimmungen mit dem Koalitionspartner sind noch notwendig. Wir wollen, dass dieses Vorhaben mit dem Mandatsverfahren, aber ohne unbedingte Haftstrafen, vor dem Sommer in den Nationalrat kommt. Ich bin optimistisch, dass wir das schaffen und die Reform mit 1. Jänner 2015 in Kraft treten kann.
Wann wird die Arbeitsgruppe zur Strafgesetz-Reform Vorschläge präsentieren?
Wir rechnen mit einem Vorschlag der Kommission im Frühherbst. Es wird eine Reihe von Vorschlägen betreffend die Strafdrohungen geben. Wir werden eine Regierungsvorlage machen und sie in Begutachtung schicken. Auch im Strafrecht brauchen wir einen breiten Konsens.
Einer der Kernpunkte soll eine bessere Ausgewogenheit bei der Strafandrohung zwischen Vermögensdelikten und jenen gegen Leib und Leben sein. Werden die Strafen für das eine gesenkt oder für das andere angehoben?
Nach allem, was mir bisher verraten wurde, wird es zu einer Anhebung der Strafdrohungen im Bereich der Gewaltdelikte in Relation zu den Delikten gegen fremdes Vermögen kommen. Es wird auch eine Anhebung der Wertqualifikationen geben.
Wolfgang Brandstetter: Der 56-jährige Rechtswissenschafter war Strafverteidiger und Hochschullehrer. Seit 2007 war Brandstetter Vorstand des Instituts für Österreichisches und Europäisches Wirtschaftsstrafrecht an der Wiener Wirtschaftsuniversität. Im Dezember 2013 holte die ÖVP den Parteifreien als Justizminister in die Regierung.