Prognosen erzählen etwas von der Zukunft, verändern aber oft die Gegenwart massiv.
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Wien. Was in fünf Jahren so alles passieren kann. Da wäre beispielsweise ein Phänomen, das um 2008 noch kaum zu beobachten war: Menschen in der Bahn und auf dem Bahnsteig, Menschen im Wartezimmer und in der Warteschlange, Menschen im Kaffeehaus und sogar zu Hause, sie alle starren auf ein kleines, smartes Ding, das längst nicht mehr nur Telefon heißt und für nicht wenige Nutzer die Welt bedeutet. Wer hätte vor fünf oder sechs Jahren diese kollektive Verhaltensveränderung prophezeit?
Und was wird bis zum Jahr 2018 passieren? Smartphones wird es wohl noch geben, aber was ist mit Facebook? Fünf Jahre sind ein langer Zeitraum, und es ist ja auch erst fünf Jahre her, dass die deutschsprachige Version des sozialen Netzwerks online gegangen ist. Und wie wird es mit der Wirtschaft im Jahr 2018 aussehen, wie mit dem Arbeitsmarkt, wie mit der Staatsverschuldung?
Für diese Fragen gibt es mittelfristige Prognosen. "Sie bauen auf Annahmen auf und sagen, wie die Entwicklung wäre", erklärt Peter Huber vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Das letzte Wort ist wichtig: wäre. "Über fünf Jahre hat die Politik Eingriffsmöglichkeiten, da kann sehr viel passieren." Es können auch im Ausland bestimmte Entwicklungen eintreten, der Euro könnte an Wert gewinnen. Oder verlieren. Wie die Konjunktur in fünf Jahren aussehen wird, lässt sich zwar durchaus berechnen, aber eben nicht vorhersagen.
Die Europäische Union verlangt von ihren Mitgliedern seit heuer aber dennoch, dass diese mittelfristige Prognosen erstellen und nach Brüssel schicken. Für Huber steckt dahinter ein sinnvoller Gedanke: "Man will einen stetigen Planungsprozess bekommen und sich in dem Blick üben, was in fünf Jahren passiert", sagt er. Überraschende Entwicklungen und panische Reaktionen sollen weitgehend unterbunden werden.
In Österreich hat die jüngste Fünf-Jahres-Prognose nun jedoch öffentliche Fassungslosigkeit hervorgerufen, zumal zunächst von einem Loch von bis zu 40 Milliarden Euro die Rede war. Erste manifeste Folge der Prognose ist nun ein präkoalitionärer Streit zwischen SPÖ und ÖVP über die notwendigen budgetären Schritte.
Auch wenn eine Einigung noch aussteht, kann man davon ausgehen, dass bestimmte Maßnahmen getroffen werden. Die Prognose evoziert also eine unmittelbare Reaktion der Politik, und das, obwohl sich Wirtschaftsforscher darin einig sind, dass es nicht seriös vorhersagbar ist, wie groß das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2018 sein wird.
Prognosen sind unmöglich
Über Sinn und Unsinn von Wirtschaftsprognosen theoretisieren Forscher seit bald 100 Jahren, und zwar seit der österreichische Ökonom Oskar Morgenstern, einer der Begründer der Spieltheorie, Konjunkturprognosen generell für unmöglich erklärte. "Wenn zwischen (. . .) Prognose und dem vorausgesagten Geschehen ein Kausalzusammenhang herstellbar ist, kann solche Prognose prinzipiell nicht wahr werden", heißt es in seiner 1928 publizierten Arbeit "Wirtschaftsprognose". Die Vorhersage der Zukunft würde die Gegenwart verändern, womit die Prognose automatisch falsch sei.
Peter Huber vom Wifo will Prognosen nicht als ein "Wettspiel" zwischen Politik und Forschern verstanden wissen. "Manche Prognosen werden ja erstellt, damit etwas explizit nicht eintritt, was vorhergesagt wird." Besonders dramatische Klimaprognosen fallen wohl in diese Kategorie. Kein Forscher wäre froh, würde er recht behalten. "Prognosen können Planungsprozesse erleichtern und eine Stabilität in Erwartungen bringen", sagt Huber.
Sie können aber nicht nur die Politik zum Handeln bringen, sondern auch Auswirkungen auf das Verhalten der Bevölkerung habe. Und das wirkt dann ebenfalls auf die Konjunktur - im guten wie im schlechten Fall. Der Ökonom Markus Marterbauer von der Arbeiterkammer, der bis vor wenigen Jahren für das Wifo auch mittelfristige Prognosen erstellt hat, sieht "Angstsparen" als größte Gefahr. "Wenn der Nachbar den Job verliert, wird mehr Geld zurückgelegt, und das führt dazu, dass die Nachfrage sinkt."
Konsum dank Sozialstaat
In Österreich ist dieses "Angstsparen" noch nicht beobachtet worden, wie Marterbauer erklärt. "Es wurde immer argumentiert, dass es durch den starken Sozialstaat verhindert wird." Wenn die Annahme richtig ist, funktioniert sie aber auch nur so lange die Menschen von der sozialen Absicherung überzeugt sind. Doch sind sie das noch? Schließlich verheißen auch hier Prognosen, etwa bei den Pensionen, nichts Gutes.
Das würde natürlich dafür sprechen, ausschließlich gute Prognosen zu veröffentlichen: Alles wird gut und sogar besser - und schon wird der Mensch zum Konsumenten und die Wirtschaft boomt. "Wenn sie permanent zu optimistisch oder auch zu pessimistisch sind, glauben die Menschen früher oder später die Prognose nicht mehr", sagt Huber. "Es hat sich als zweckmäßig erwiesen, dieses Instrument nicht strategisch einzusetzen."
Die unmittelbaren konjunkturellen Auswirkungen von Maßnahmen der Politik hält Marterbauer für endenwollend, seit der Außenhandel derart zugenommen hat und mittlerweile für fast 60 Prozent des BIP verantwortlich ist. Doch zu unterschätzen sind sie eben auch nicht. "Wenn man ein hohes Defizit erwartet und deshalb Sparmaßnahmen setzt, hat das wieder eine Rückwirkung auf die Prognose und würde die Beschäftigung dämpfen", sagt er.
Da die Berechnungen laufend aktualisiert werden, könnten die Forscher die mittelfristige Konjunkturprognose in einem Jahr dann noch pessimistischer sehen, weshalb sie zukünftige Steuereinnahmen weiter nach unten korrigieren. Was dann? Folgen dann weitere Sparpakete?
Ein Problem ist auch, dass die EU nicht nur eine rigide Budgetplanung ihrer Mitglieder verlangt, sondern sie auch zu mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie Infrastruktur drängen will. Neue Ausgaben fallen allerdings besonders schnell aus einem Budgetplan heraus, wenn sich der Prognosepfeil nach unten bewegt. "Das hemmt Investitionen schon", sagt Marterbauer, für seinen Kollegen Peter Huber ist die Wirtschaftspolitik "voll von derartigen Konflikten".
Realität besser als der Plan
In Österreich werden seit 2009, also noch vor der Anweisung aus Brüssel, mittelfristige Wirtschaftsprognosen erstellt und von der Politik verwendet. "Der Budgetvollzug war dann immer besser als der Finanzrahmen", sagt AK-Experte. "Das eine oder andere Sparpaket wäre in dieser Größenordnung vielleicht gar nicht notwendig gewesen."
Marterbauer empfiehlt, die Bedeutung der Prognosen "nicht zu hoch zu hängen" und sie auch nicht als Vorhersage, sondern als Szenario zu verstehen. "Man könnte dann auch ein optimistisches und pessimistisches Szenario veröffentlichen", sagt Marterbauer. Realpolitisch ist das freilich unmöglich. Es bräuchte vermutlich eine eigene Verhandlungsgruppe von SPÖ und ÖVP, um zu entscheiden, welches Szenario das gültige ist.