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Selektive Vertriebssysteme auf dem Prüfstand

Von Stefan Wartinger

Recht

Gastbeitrag: Im Abschlussbericht zur E-Commerce-Sektoruntersuchung der EU bestätigt sich das rasante Wachstum des elektronischen Handels, was zu Konflikten mit den Vertriebs- und Markenstrategien führen kann.


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Die Europäische Kommission hat im Mai ihren seit langem erwarteten Abschlussbericht zur E-Commerce-Sektoruntersuchung veröffentlicht. In dem Bericht bestätigt sich das rasante Wachstum des elektronischen Handels. Das kann naturgemäß zu Konflikten mit den Vertriebs- und Markenstrategien gewisser Hersteller führen. Daher greifen Hersteller noch verstärkter auf selektive Vertriebssysteme - die Vertragshändlern bestimmte Mindestanforderungen auferlegen - zurück, um dadurch eine bessere Kontrolle über ihre Vertriebsnetze zu erhalten.

Entscheiden sich Hersteller für die Implementierung eines selektiven Vertriebssystems sind die kartellrechtlichen Rahmenbedingungen genau zu beachten. Selektive Vertriebssysteme sind zwar auch nach den jüngsten Erkenntnissen der Sektoruntersuchung grundsätzlich weiterhin vom Safe Harbor der Vertikal-GVO (Gruppenfreistellungsverordnung über Vertikalvereinbarungen) erfasst, aber nur solange der Marktanteil des Verkäufers als auch jener des Käufers nicht über 30 Prozent liegen.

Die Sektoruntersuchung hat jedoch zahlreiche Beschränkungen im Hinblick auf den Online-Handel aufgezeigt, die den Wettbewerb aus ihrer Sicht beeinträchtigen könnten. Diese Beschränkungen können dabei unterschiedlichste Formen annehmen, beispielsweise Doppelpreissysteme, Plattformverbote, Beschränkungen für die Nutzung von Preisvergleichsportalen sowie das Verwehren des Zugangs zum Vertriebssystem für "pure online players".

Doppelpreissysteme

Bei einem Doppelpreissystem bekommt ein Vertragshändler unterschiedliche Einkaufspreise gewährt, je nachdem, ob er das betroffene Produkt über das Internet vertreibt oder über sein Ladengeschäft. Dies schließt auch Rabattsysteme mit ein, die eine ähnliche Wirkung entfalten. Doppelpreissysteme für ein und denselben Vertragshändler werden als Kernbeschränkung angesehen. Die Kommission weist jedoch explizit auf die Möglichkeit einer Einzelfreistellung hin, um beispielsweise Trittbrettfahrer zu verhindern, die von der Beratung in Offline-Shops profitieren, selbst aber die Produkte nur online anbieten. Eine Einzelfallprüfung ist jedenfalls unumgänglich. Selbstverständlich können aber auch weiterhin unterschiedliche Preise von unterschiedlichen Vertragshändlern verlangt werden.

Plattformverbote

Beschränkungen für Vertragshändler im Hinblick auf den Verkauf über Online-Marktplätze wie Amazon und ebay haben in den vergangenen Jahren erhebliche Aufmerksamkeit erregt. Die Kommission zeigt in ihrem Abschlussbericht auf, dass es sich bei Verboten zur Nutzung von Drittplattformen grundsätzlich um keine Kernbeschränkung handeln sollte. Hingegen haben das deutsche Bundeskartellamt und die deutschen Gerichte eine solche Beschränkung zum Teil bereits deutlich kritischer beurteilt. Eine abschließende Bewertung ist letztlich von der Art des Vertriebssystems und den Besonderheiten des Einzelfalls abhängig. Hier besteht somit weiterhin eine hohe Rechtsunsicherheit. Vor dem EuGH ist gerade ein Vorabentscheidungsverfahren anhängig, das diese Unsicherheit hoffentlich beseitigen wird.

Eine Einzelfallbeurteilung wäre wohl jedenfalls notwendig, wenn Hersteller ihren Vertragshändlern die Nutzung von Online-Marktplätzen verbieten, gleichzeitig aber selbst Waren über diese Online-Marktplätze vertreiben.

Preisvergleichsportale

Ein Preisvergleichsportal ist eine Webseite, auf der Verbraucher zu einem gesuchten Produkt mehrere Onlineshops auf einer Seite finden, um deren Preis zu vergleichen. Bestimmte selektive Vertriebssysteme verbieten ihren Vertragshändlern generell die Nutzung von Preisvergleichsportalen. Die Kommission weist darauf hin, dass absolute Verbote zur Nutzung dieser Portale (ohne Bezug zu Qualitätskriterien) eine Kernbeschränkung darstellen. Diese Haltung hat auch das Oberlandesgericht Düsseldorf in einer aktuellen Grundsatzentscheidung eingenommen. Im konkreten Fall hatte ein Laufschuhhersteller seinen Vertragshändlern untersagt, seine Produkte auf Preisvergleichsportalen anzubieten. Ein solches generelles Verbot wurde ebenfalls als Kernbeschränkung gewertet.

Ausschluss reiner Onlinehändler

Oft sehen gerade selektive Vertriebssysteme Beschränkungen vor, die reine Onlinehändler ausschließen. Konkret wird (potenziellen) Mitgliedern eines selektiven Vertriebssystems dabei in der Regel der Betrieb eines physischen Verkaufsstandorts vorgeschrieben. Grundsätzlich sind derartige Verpflichtungen zulässig, sofern diese eine Verbindung zur Qualität des Vertriebs und/oder zu anderen potenziellen Effizienzsteigerungen aufweisen.

Eine Einzelfallbeurteilung wäre wohl jedenfalls notwendig, wenn Hersteller ihren Einzelhändlern den Betrieb eines physischen Verkaufsstandortes vorschreiben, ohne gleichzeitig aber Qualitätskriterien für die Ausgestaltung des Verkaufsstandortes festzulegen.

Ausblick

Die Sektoruntersuchung hat die Kommission bereits zur Einleitung von drei Verfahren in den Bereichen Unterhaltungselektronik, Videospiele und Hotelübernachtungen bewegt. Ganz nach dem Motto "the journey has just begun" stellt der Abschlussbericht lediglich den Startschuss für eine Vielzahl möglicher weiterer Untersuchungen und Verfahren dar. Neben der Kommission werden auch nationale Wettbewerbsbehörden dem Thema E-Commerce noch mehr Aufmerksamkeit beimessen, als dies ohnehin bereits der Fall war.

Es ist daher jetzt ein idealer Zeitpunkt gekommen, um Vertriebsverträge einer kritischen Prüfung zu unterziehen.

Zum Autor

Stefan
Wartinger

ist Mitglied der Kartellrechtspraxisgruppe bei Eisenberger & Herzog. Er ist auf die kartellrechtskonforme Ausgestaltung von Vertriebssystemen und alle kartellrechtlichen Fragen des E-Commerce spezialisiert.