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Selenskyj im Clinch mit Janukowitschs alter Garde

Von Gerhard Lechner

Politik

Der ukrainische Präsident war bisher nicht für Härte gegen prorussische Politiker bekannt. Nun nimmt er mit Wiktor Medwedtschuk einen Intimus von Russlands Präsidenten Wladimir Putin ins Visier. Der Strategiewechsel gibt Rätsel auf.


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An sich ist Wolodymyr Selenskyj nicht gerade für seinen beinharten Kurs gegen das russophile Lager in der Ukraine bekannt. Der Kabarettist, der 2018 mit überwältigender Mehrheit zum Präsidenten der Ukraine gewählt wurde, hatte gegenüber den Erben des gestürzten Ex-Präsidenten Wiktor Janukowitsch, der "Oppositionsplattform - für das Leben", eher versöhnliche Töne angeschlagen und auch im umkämpften Donbass eine Politik des Ausgleichs verfolgt. Das war für die Russischsprachigen in der Ukraine auch deshalb glaubwürdig, weil Selenskyj selbst aus dem russischsprachigen Südosten stammt und - wie so viele in der ukrainischen Elite - den fließenden Gebrauch der ukrainischen Sprache in den letzten Jahren erst lernen musste.

 

Skeptische Nationalisten

Entsprechend stark war für den Schauspieler stets der Gegenwind aus dem ukrainisch-nationalen Lager: Dem "Russenkomiker", wie er auf Facebook unter anderem abwertend bezeichnet wurde, wurde immer wieder Landesverrat unterstellt. Die lautstarken, sichtbaren, bei Wahlen aber stets erstaunlich schwachen nationalistischen Gruppierungen protestierten immer wieder auf der Straße gegen den Präsidenten. Und auch Selenskyjs Vorgänger Petro Poroschenko, der sich in den letzten Jahren zur Leitfigur des nationalen Lagers entwickelte, bekrittelte den Kurs seines Nachfolgers.

Umso überraschender sind die Schritte, die Selenskyj in den letzten Wochen gesetzt hat. Anfang Februar hatte er Sanktionen gegen Taras Kosak erlassen, einen Abgeordneten der Oppositionsplattform. Kosak gehören - zumindest formal - die Fernsehsender 112, ZIK und Newsone. Im Wahrheit dürften die Sender, denen in Kiew vorgeworfen wird, russische Propaganda zu verbreiten, jedoch Teil des Medienimperiums von Wiktor Medwedtschuk sein.

Patenonkel Putin

Der gilt als enger Verbündeter Kosaks und innerhalb der Oppositionsplattform als bestimmende Figur und Strippenzieher. Was ihn für viele Ukrainer zum roten Tuch macht, ist der Umstand, dass Medwedtschuk ein Freund des nationalen Erzfeinds Wladimir Putin ist. Der russische Präsident ist der Patenonkel von Medwedtschuks Tochter Darina - die Patentante ist übrigens Swetlana Medwedewa, die Frau von Ex-Kreml-Chef Dmitri Medwedew.

Angeblich soll auch Medwedtschuk - so wie Putin - zu Sowjetzeiten für den Geheimdienst KGB gearbeitet haben. In der postsowjetischen Ukraine machte der Mann, der in Sibirien geboren wurde, rasch Karriere: Ex-Präsident Leonid Kutschma ernannte ihn 2002 zum Leiter der Präsidialverwaltung. In diesem mächtigen Amt soll er, so behaupten seine Gegner, für jene Wahlfälschungen verantwortlich gewesen sein, die 2004 die Orange Revolution in Kiew mit ausgelöst haben. Später warb er unter anderem für einen Beitritt der Ukraine zu Moskaus Eurasischer Zollunion.

 

Putins Wunschkandidat als ukrainischer Premier

Kein Wunder, dass Putin bei Janukowitsch versucht haben soll, seinen Wunschkandidaten für den Posten des Premiers durchzusetzen - freilich ohne Erfolg. Nach dem Ausbruch des Krieges in der Ostukraine war es wiederum Medwedtschuk, der die ersten Konsultationen mit den prorussischen Separatisten im Donbass vermittelte. Auch später wurde er noch als Vermittler gebraucht.

Damit dürfte es jetzt ein Ende haben. Denn vergangenen Samstag hat Selenskyj per Dekret auch gegen Medwedtschuk selbst und seine Frau Oksana Martschenko, die offiziell seine Ölgeschäfte führt, Sanktionen erlassen - wegen angeblicher Finanzierung von Terrorismus. Unter anderem soll eine Raffinerie in Südrussland, die Medwedtschuk gehört, die Separatisten im Donbass mit Treibstoff versorgen. Dem Ehepaar wurde der Zugriff auf ihr Eigentum untersagt, den beiden drohen bis zu zwölf Jahre Gefängnis. Medwedtschuk wies die Vorwürfe zurück und sprach von gesetzwidrigen Sanktionen, die "nicht ohne Gerichtsentscheid verhängt werden können".

"Angriff auf Meinungsfreiheit"

Tatsächlich ist die rechtliche Grundlage für Selenskyjs Dekrete dünn. Schon die Maßnahmen gegen Medwedtschuk-Intimus Kosak waren umstritten: Zwar hatte Selenskyj die Entscheidung nicht allein, sondern im Einklang mit Vertretern von Justiz, Geheimdiensten und Regierung getroffen. Dennoch hat der Umstand, dass Selenskyj Kosaks Sendern für vorerst fünf Jahre die Lizenz entzog und die Konten sperrte - und sie damit schließen ließ -, auch für Gegenwind gesorgt. Eine "Informationsbombe" und ein "Angriff auf die Meinungsfreiheit" sei die Maßnahme, kritisierte Mykola Tomilenko, der Chef des ukrainischen Journalistenverbandes. Man könne nicht einfach TV-Sender ohne Gerichtsbeschluss verbieten lassen.

Tomilenko war innerhalb des ukrainischen Journalistenmilieus damit freilich ein relativ einsamer Rufer. "Nach normalen journalistischen Spielregeln sind solche Maßnahmen natürlich nicht zulässig", sagte der Publizist Juri Durkot aus Lemberg der "Wiener Zeitung". Kosaks Kanäle hätten journalistischen Ansprüchen jedoch nicht genügt.

 

"Kriegsinstrument gegen die Ukraine"

"Da wurden beispielsweise erfundene Geschichten gesendet und ganz einfach Propaganda im Sinne Russlands betrieben", sagte Durkot, der allerdings auch einräumt, dass die Frage der Schließung der Sender "sensibel und schwierig" sei. "Man darf aber nicht vergessen, dass nicht alle Sender, die eine Nähe zur Oppositionsplattform aufweisen, geschlossen wurden. Manche, die nicht so propagandistisch agieren, arbeiten ganz normal weiter."

Selenskyjs Sprecherin Julia Mendel berief sich auf die Konfliktsituation mit Russland. Sie nannte Kosaks respektive Medwedtschuks Sender ein "Kriegsinstrument gegen die Ukraine", das "im Sinne der nationalen Sicherheit blockiert" werden müsse. "Die Meinungsfreiheit endet, wenn in die ukrainische Souveränität eingegriffen wird", erklärte der Chef des ukrainischen Geheimdienstes SBU, Iwan Bakanow.

Keine Mehrheit mehr

Ob Selenskyjs umstrittene Entscheidungen auch vor einem Gericht halten, bleibt abzuwarten. "In jedem Fall ist interessant, dass es ausgerechnet Selenskyj ist, der gegen Medwedtschuk vorgeht. Poroschenko hatte das noch nicht gewagt", erklärt Durkot. Ein Grund dafür könnte auch sein, dass Medwedtschuks Oppositionsplattform für Selenskyj und seine Partei "Diener des Volkes" zur unliebsamen Konkurrenz geworden ist. In manchen Umfragen liegt sie bereits auf Platz eins, während die Präsidentenpartei immer mehr an Zustimmung verliert und auch im Parlament faktisch keine Mehrheit mehr hat. Viele Ukrainer trauen den Janukowitsch-Nachfolgern aufgrund ihrer Kontakte nach Moskau offenbar am ehesten zu, den lähmenden Krieg zu beenden - nachdem Selenskyj hier nur Teilerfolge erzielt hat.

Also muss sich Selenskyj perspektivisch nach neuen Wählerschichten umsehen. "Es sieht so aus, als würde er jetzt versuchen, Anhänger im prowestlichen Elektorat zu finden", analysiert Durkot. Leicht wird das freilich nicht: Denn dort müsste er erst einmal Poroschenko aus dem Feld schlagen.