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Seltene Eintracht

Von Von Martyna Czarnowska aus Brüssel

Politik

Ungewöhnlich schnell beschlossen die 27 EU-Staats- und Regierungschefs ihre Leitlinien für die Brexit-Gespräche.


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Brüssel. Es dauerte nicht einmal eine Viertelstunde. In Rekordzeit billigten die 27 Staats- und Regierungschefs der EU die Prinzipien, die für die anstehenden Brexit-Verhandlungen mit Großbritannien gelten sollen. Bei einem Sondergipfeltreffen in Brüssel steckten sie am Samstag den Rahmen für die Gespräche ab, die erst nach den Parlamentswahlen auf der Insel Anfang Juni beginnen werden. Noch davor wird EU-Chefunterhändler Michel Barnier offiziell das Verhandlungsmandat erhalten.

In seltener Einigkeit stimmten die Regierungen dem Dokument zu, das Diplomaten und Beamte in den Tagen davor ausgearbeitet haben und das 28 Punkte umfasst. Zu den Grundsätzen dabei gehört die Integrität des Binnenmarktes, die die Union bewahren möchte und die Annahme, dass ein Drittstaat nicht dieselben Rechte und Vorteile genießen kann wie ein Mitgliedsland. "Rosinenpickerei" soll Großbritannien also nicht betreiben dürfen: Nach dem Austritt aus der Gemeinschaft soll es sich nicht in einer besseren Position befinden als zuvor.

Außerdem gilt die Devise: Bevor nicht alles vereinbart ist, ist nichts vereinbart. Das Ziel ist also ein Gesamtpaket, das bis Ende März 2019 zu schnüren ist. Bis dahin will die Union auch ihre Einhelligkeit bewahren; parallele Gespräche zwischen einzelnen Mitgliedern und London sind unerwünscht. Durch das gemeinsame Auftreten will die EU ihre Verhandlungsposition stärken.

Verhandlungen in zwei Phasen

Die Gespräche sollen in zwei Phasen verlaufen, was den Wünschen der Briten zuwiderläuft, die am liebsten gleichzeitig über ihr Ausscheiden und über ihr künftiges Verhältnis zum Kontinent reden würden. Doch die EU stellte klar, dass über spätere Beziehungen erst gesprochen werden könne, wenn es einen "ausreichenden Fortschritt" in der ersten Phase gebe, in der der Austrittsprozess im Vordergrund steht.

Dieser Teil birgt schon Schwierigkeiten genug. Zehntausende Rechtsakte müssen neu verhandelt, Finanzfragen geklärt und die Aufenthaltsrechte von Millionen Menschen fixiert werden. So wünscht sich die EU Sicherheit für jene rund drei Millionen EU-Bürger, die in Großbritannien leben. Die Chancen auf Bleibe-Garantien stehen gut, da auch das Königreich daran interessiert sein müsste, umgekehrt Zusagen für jene Briten zu erhalten, die sich in der EU niedergelassen haben. Ob es allerdings einen Stichtag geben wird, ab wann ein sicherer Status nicht mehr gewährt ist, bleibt offen.

Unklar ist ebenso die Höhe der Rechnung, die London begleichen wird müssen. Es kursiert eine Summe von 60 Milliarden Euro, doch sind das lediglich Schätzungen. Es geht jedenfalls um finanzielle Verpflichtungen im Rahmen der langjährigen Haushaltsplanung der EU, die bis 2020 läuft, um Beamtenpensionen sowie Kredite und Verbindlichkeiten bei Instituten wie der EZB (Europäische Zentralbank) und EIB (Europäische Investitionsbank).
Außerdem müssen "flexible und einfallsreiche Lösungen" für Irland gefunden werden. Eine "harte Grenze" zu Nordirland, das zu Großbritannien gehört, soll nämlich vermieden werden, um kein neues Konfliktpotenzial zu schaffen.  

Ringen um EU-Beiträge

Konkrete Antworten auf all die offenen Fragen werden erst im Laufe der kommenden Monate ausgearbeitet werden. Derzeit lasse sich schlicht nicht alles sagen, befand die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Gipfeltreffen. Gleichzeitig machte sie deutlich, dass sich die Europäer in den nächsten zwei Jahren nicht nur mit Großbritannien beschäftigen können. Die EU müsse sich auch um die eigene Zukunft kümmern – gemeinsam.

Die Einmütigkeit betonten andere Regierungschefs ebenfalls. Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern zeigte sich auch zuversichtlich, dass die 27 Mitgliedstaaten ihre gemeinsame Linie bis zum Abschluss der Brexit-Gespräche aufrechterhalten werden können. Und EU-Ratspräsident Donald Tusk erklärte: Wenn jemand eine Spaltung der 27 erwartet hätte, "war das eine Illusion".

Dennoch haben manche Länder spezielle Anliegen. Neben Irland gehört beispielsweise Zypern dazu, wo Großbritannien Militärbasen unterhält. Dort sollen die Vereinbarungen mit dem Königreich dem EU-Recht entsprechen, heißt es in den Leitlinien. Spanien wiederum will künftig ein Mitspracherecht bei jedem Abkommen haben, das London mit Gibraltar abschließt.

Ansprüche haben ebenfalls die Nettozahler, die mehr Geld in den gemeinsamen EU-Haushalt fließen lassen als sie daraus zurückerhalten. Sie wollen verhindern, dass sich ihre Beiträge nach dem Austritt Großbritanniens erhöhen. "Diese Position werden wir auch verteidigen und deutlich führen", sagte Kanzler Kern.

Bis dahin aber gilt der "Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit". So lange es Mitglied ist, hat Großbritannien alle Rechte und Pflichten wie bisher. Dass es diesen Verpflichtungen nachkommt, will die EU vorausgesetzt haben. Ebenso dürfe London nicht die gemeinsamen Arbeiten blockieren. Vielmehr müssten "alle laufenden EU-Geschäfte weiterhin möglichst reibungslos mit 28 fortgeführt werden".