"Solange nicht wieder Flieger in Hochhäuser krachen, ist es mir egal."
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New York. Mit Namen sind sie vorsichtig dieser Tage in Queens, weil, man weiß ja nie. "Nenn mich einfach Mohammed", sagt der junge Mann mit dem Ziegenbart und lacht. "Wer hat dir erzählt, dass ich Syrer bin?" "Der Ägypter, dem das Restaurant gehört." "Ah ja? Interessant." "Was denkst du über das, was in Syrien gerade passiert?" "Scheiße, alles ...die sind alle wahnsinnig. Und es ist egal, wer gewinnen wird. Völlig egal. Es wird sich nichts ändern." Auch nicht, wenn Amerika Bomben auf Damaskus wirft? "Es werden Leute sterben, klar. Viele Leute, unschuldige Leute. Aber es wird keinen Unterschied machen." Ein Handzeichen, das unmissverständlich deutet, dass das Gespräch beendet ist.
Big Troubles in Little Egypt
"Kein Glück, was?", sagt der Ägypter, der im Lokal am westlichen Ende der Steinway Street die Geschäfte führt. Eine Handvoll Tische, auf der Speisekarte stehen Linsensuppe, geschmortes Lamm oder Auberginenauflauf, Dattelgebäck, Wasserpfeife gibt’s auf Anfrage. Nirgendwo in New York scheint der Nahe Osten näher als in diesem Teil des Astoria-Viertels im Nordosten von Queens. Die gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, die relative Nähe zu Manhattan: Bis vor kurzem als langweiliger Schlafbezirk verschrien, setzt seit kurzem auch hier langsam aber sicher die Gentrifizierung ein, mit den üblichen Begleiterscheinungen. Steigende Mieten, ins Viertel einziehende (weiße) Yuppies und Hipster, deren Codes und Rituale ihnen fremd sind: Ein Problem für die Eingesessenen, über das sie lieber reden wollen als über Geopolitik. Auch wenn sie und viele ihrer Verwandten daheim unmittelbar von ihren Auswirkungen betroffen sind.
"Little Egypt", "Klein-Ägypten" nennen die Zeitungen das Grätzel, aber es ist nur die halbe Wahrheit. In Astoria leben Zehntausende aus allen Ländern des Maghreb und des Nahen Ostens: Marokkaner, Algerier, Tunesier, Jemeniten, Libanesen, Jordanier. Und Menschen aus dem zerfallenden Reich Bashar al-Assads.
Spätestens seit dem Ausbruch des Arabischen Frühlings und jetzt, angesichts der Ereignisse in Syrien, wird dem Viertel wieder erhöhte Aufmerksamkeit zuteil. Nicht nur von Reportern. Dass die umliegenden Moscheen von Informanten und V-Leuten der New Yorker und der Bundespolizei durchsetzt sind, gilt als offenes Geheimnis. Aber selbst wenn die Menschen hier den Mund aufmachen würden, würden sie vielleicht nicht mehr sagen als "Mohammed". Mit "Hände falten, Klappe halten" kommt man immer noch am besten durchs Leben, auch auf dieser Seite des Atlantiks. Eine Lektion, die viele Menschen, die den despotischen Regimes in ihrer Heimatländern entkommen sind, derart verinnerlicht haben, dass sie in ihnen in diesem Leben wahrscheinlich nicht mehr auszutreiben ist.
Limitierte Debatte
Nicht zuletzt, weil sie sich des ausgeprägten Desinteresses der amerikanischen Öffentlichkeit an den Problemen jener Weltregion gewahr sind, aus der sie stammen. "Neunzig Prozent der Amerikaner würden Syrien nicht auf der Landkarte finden, wenn man sie danach fragt. Mindestens", sagt der ägyptische Restaurantbesitzer. "Welchen Unterschied macht es deshalb, ob sie Bomben auf Damaskus werfen oder nicht? Einzig, wenn wieder mal hier etwas passiert, werden sie wieder aufwachen. Um dann gleich wieder einzuschlafen." Egal, in welchem Teil von New York City sich einer dieser Tage umtut: Auf die Frage, ob es richtig oder falsch sei, Assad und seinen Gefolgsleuten mittels eines "limitierten Einsatzes" (Außenminister John Kerry) Mores zu lehren, haben die meisten Bewohner des Big Apple keine eindeutige Antwort. Die Debatte über den bevorstehenden Waffengang - einzig darüber, dass er unmittelbar bevorsteht, herrscht Einigkeit - scheint sich auf die Medien zu beschränken und selbst in denen findet die Diskussion nur halbherzig statt. Die zwei großen Boulevardzeitungen, die "Daily News" und die "Post", immer noch viel gelesen in der größten Stadt Amerikas, berichten erst ab den Seiten vier, fünf über die Bemühungen der Regierung Obama, den Militärschlag zu legitimieren.
Als Erklärung für das mangelnde Interesse am Syrien-Feldzug wird allenthalben die "Kriegsmüdigkeit" der Amerikaner bemüht. Sukkus: Nach rund zwölf Jahren Krieg in Afghanistan und zehn im Irak seien die Leute abgestumpft; einzig der Einsatz von Bodentruppen würde für eine breite Diskussion sorgen. Nur die Frage, inwieweit die Sicherheit Israels durch einen US-Angriff auf Syrien gefährdet würde, stellen sich hier viele. Manche sogar am Pizzastand. Aaron Minz studiert Pädagogik am renommierten City College in West Harlem und hilft ab und zu im Jerusalem Café in Midtown West aus, wo man unter anderem koschere Pizza verkauft. "Assad muss weg, kein Zweifel", sagt er: "Den Einsatz von Giftgas in dieser Region nicht zu sanktionieren würde alles nur noch schlimmer machen." Aber: "So schlimm Assad ist, er war immer berechenbar. Wir wissen nicht, was nach ihm kommt. Das ist meine Sorge. Wenn wir (die USA, Anm.) nichts tun, werden nicht wir, sondern Iran entscheiden, was in Syrien weiter passiert."
"Mann, Syrien?"
Mit einer derart klaren Position weiß sich Mintz freilich in der Minderheit. Der Gordische Knoten Nahost, wo alles mit allem zusammenhängt - siehe die verfahrene Situation in Ägypten - macht es dem durchschnittlichen amerikanischen Medienkonsumenten schwer, sich ein Urteil zu bilden. Innerhalb der New Yorker Stadtgrenzen zeigt sich das vielleicht nirgendwo so deutlich wie in der Bronx, dem einzigen Teil der Metropole, der auf dem Festland liegt. Hier lebt und arbeitet die Mehrheit jener Menschen, die man in Europa wahrscheinlich pauschal mit dem Titel "Unterschicht" etikettieren würde. Obwohl überdurchschnittlich viele junge Männer und Frauen von hier die Uniform einer der fünf das US-Militär konstituierenden Waffengattungen tragen (Army, Navy, Marines, Air Force, Coast Guard), ist Syrien auf ihren Straßen praktisch kein Thema. "Mann, Syrien? Wirklich, jetzt?", fragt der Eisverkäufer an der Ecke Westchester Avenue und Southern Boulevard, einer belebten Kreuzung am Anfang einer der wenigen Einkaufsmeilen des Bezirks, die diesen Namen verdient. "Ja, ich hab davon gehört. Na und? Hör zu: Solange nicht wieder Flugzeuge in die Hochhäuser von Downtown krachen, ist mir ziemlich egal, was wir da drüben machen. Alright?"