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Seltsamer Familiensinn

Von Walter Hämmerle

Kommentare

Österreichs Politik tut sich schwer mit klaren Grenzen. Die Parteien lieben das Ungefähre, das Vage, das sichert nämlich im Zweifel den eigenen Einfluss.


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Eigentlich ist es ja nur eine Petitesse, eine Kleinigkeit also, die noch dazu ausschließlich uns Journalisten das Leben schwer macht. Obwohl: Genau genommen wird es von der anderen Seite genau umgekehrt gesehen. Reduzierte Komplexität sozusagen, und das soll ja immer gut sein. Schwer erträglich - und genau genommen sogar untragbar - ist die Sache trotzdem.

Die Rede ist von einer grassierenden Unsitte, die geradezu typisch ist für Österreichs nun ja, sagen wir prämoderne politische Kultur. Kürzlich etwa rief eine Kollegin im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft - im PR-Speak auch Lebensministerium genannt - an, um eine Reaktion auf eine geäußerte Kritik zu erhalten. Gehört schließlich irgendwie zum guten, zumindest zum professionellen Journalismus. Interessanterweise wurde eine Antwort auf die Anfrage verweigert. Nicht aus Prinzip, weil man etwa die besondere Angelegenheit gar nicht kommentieren wolle, nicht einmal mit einem Wort, was ja schließlich auch schon wieder ein Kommentar gewesen wäre. Sondern mit dem pragmatischen Hinweis, "dazu haben wir eh schon was g’sagt".

Diese Aussage war insofern bemerkenswert, als sich nirgendwo auch nur ein Wort des Ministeriums, geschweige denn des Ministers zur Sache gefunden hätte. Denn "wir", das war in diesem Fall nur der Bauernbund ganz allein.

Die Episode ist natürlich kein Einzelfall und könnte genau so gut auch in jedem anderen heimischen Ministerium so oder so ähnlich abgelaufen sein; wahlweise kommunizieren dann eben die übrigen Sozialpartner für "ihren" Minister.

Das ist auch alles irgendwie total o.k. und Teil der österreichischen politischen Kultur - und ist dann doch auch wieder nicht. Dass nämlich ein Ministerium per se mehr ist, als die den jeweiligen Minister stützende politische Lobbyinggruppe, darauf scheint man in Österreich nicht von vornherein zu kommen.

Es ist dieses fehlende Gefühl für Grenzen, die Österreichs Politik mit der Logik von Clanstrukturen (und gerne auch Schlimmerem) in Verbindung bringt. Die Loyalität gehört hier zuallererst der eigenen politischen "Familie", wie man in Süditalien sagen würde - und erst dann jenem Allgemeinwohl, das versucht, einen vernünftigen Ausgleich zwischen den spezifischen Sonderinteressen zu destillieren. Die Entstehung dieses besonderen Politikverständnisses lässt sich leicht aus der Geschichte der letzten hundert Jahre erklären. Für eine Rechtfertigung für ihre Fortdauer reicht das allerdings längst nicht aus. Dazu bedarf es schon der beharrlichen Weigerung, einmal antrainierte Denkstrukturen auch aufzugeben. Doch dies ist bei Österreichs Großparteien offensichtlich ein Ding der Unmöglichkeit.

Es ist dieses Gefühl eines eigenartigen Familienverständnisses, das dazu geführt hat, dass über Jahrzehnte hinweg keine Unterscheidung zwischen den Interessen einer Partei und des Gemeinwohls gemacht wurden. Und erst in allerjüngster Zeit ringen wir uns dazu durch, diesen Umstand als das zu anzuerkennen, was er tatsächlich ist: ein massives Problem.