)
Die Stadt Wien und Danone setzen Werbeclips nach Ausspielung auf unpassendem Kanal aus.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Nichts fürchten Marken mehr als ein schlechtes Image. Während Großkonzerne und öffentliche Stellen bei Printmedien, TV und Radio peinlich genau darauf achten, in welchem Umfeld ihre Werbung ausgespielt wird, war es ihnen lange Zeit gleichgültig, wo sie im Internet mit ihren Bannern und Videoclips auftauchen. Die Werber adelten damit unseriöse Portale, welche dank der renommierten Marken ernstzunehmend wirkten. Mittlerweile findet in der Branche ein Umdenken statt. Startpunkt war der Werbestopp von Cerealienhersteller Kellogg’s beim rechtsdemagogischen US-Portal Breitbart im vergangenen November. Seitdem möchten immer mehr Unternehmen nicht in unpassendem Umfeld gesehen werden. Das sind schlechte Nachrichten für Google, den mit Abstand größten Anbieter von Online-Werbeplätzen. Noch schlechter für den Krösus aus Mountain View: Seit März verzichten rund 250 Konzerne - darunter der Telekomriese AT&T und der Autobauer Kia - sowie die britische Regierung auf Schaltungen auf YouTube oder haben dies angedroht. Denn ihre Werbebanner wurden auf Googles Videoportal auf unseriösen bis extremistischen Kanälen ausgespielt (zur Funktionsweise von Online-Werbung siehe Infokasten).
Storno in 100-Millionen-Markt
Nun erfolgt im deutschsprachigen Raum der Dammbruch: Auch die Stadt Wien und Danone setzen Werbung auf YouTube aus, wo Werbeclips vor dem Beitrag eines unpassenden Portals ausgespielt wurden. Das Storno des französischen Konsumgüterherstellers - bekannt durch Marken wie Obstgarten, Gervais und Milupa - betrifft gar den gesamten DACH-Raum, also Deutschland, Österreich sowie die Schweiz und somit einen Markt, in dem knapp 100 Millionen Menschen leben.
Konkret lief die Werbung auf dem YouTube-Kanal "NuoViso.TV". "Mehr sehen als anderswo" versprechen die Betreiber, knapp 79.000 Personen haben den Kanal abonniert. Dieser sei Teil einer "fundamental systemkritischen Szene in Deutschland", bei der die Grenze zwischen Verschwörungstheorie und legitimer Kritik verschwimme, schrieb der Trierer Politologe Markus Linden in der "Neuen Zürcher Zeitung". Auf "NuoViso.TV" finden sich Beiträge wie "Zweifel an offizieller Version - Was brachte GermanWings Flug 4U9525 wirklich zum Absturz?". Und auch der ehemalige ARD-Korrespondent Christoph Hörstel kommt in dem Kanal zu Wort; er sei laut Linden eine jener "Personen, die sich nach dem Bruch mit etablierten Medien radikalisiert haben".
Die Rolle eines Grazer Verlags
Vor besagten beiden Videos lässt Google Werbung zu - im Gegensatz zu Beiträgen, die schon im Titel offensichtlich rechts- oder linksextrem sind oder eindeutig Verschwörungstheorien beinhalten. Auf "NuoViso.TV" findet sich auch ein Video namens "Lars Konarek - Outdoor Survival". So weit so harmlos. Doch bereits in der Videobeschreibung wird auf Konareks Buch zum Thema verwiesen; erschienen im Grazer Leopold Stocker-Verlag. "Dieser blickt auf eine lange Tradition im Milieu der politischen Rechten zurück. Die aktuelle Verlagsleitung unter Wolfgang Dvorak-Stocker setzt diese Ausrichtung in vielfältiger Weise fort. Besondere Bedeutung kommt dabei dem 2005 gegründeten Ares-Verlag zu, einer Art Hausmarke des Verlags", erklärt Florian Wenninger vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. "Der Stocker-Verlag versucht sich mit einer stark agrarisch orientierten Sachbuchschiene ein bieder-konservatives Erscheinungsbild zu geben, während der Ares-Verlag die Werke prominenter Rechtsextremisten und Revisionisten publiziert."
Ist das Video eines Autors, der im Stocker-Verlag publiziert, ein geeignetes Umfeld für das Image von Marken? Die "Wiener Zeitung" hat in Kooperation mit dem WDR seit Ende April Werbeclips gesichtet, die dem "Outdoor Survival"-Video vorgeschalten sind. Dort warb die Stadt Wien für "Freiwillig für Wien", ein Netzwerk, das Freiwilligenorganisationen und potenzielle ehrenamtliche Helfer zusammenbringen soll. Schauspieler Karl Merkatz ist Protagonist in dem Spot.
Darauf aufmerksam gemacht, schreibt eine Mitarbeiterin des für die Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Wien zuständigen Presse- und Informationsdienstes im Mai: "Wir haben uns dazu entschlossen, die von Ihnen recherchierten Zusammenhänge nachzuprüfen, bis dahin diesen Teil unserer Digitalkampagne vorerst auszusetzen und mit Google Kontakt aufzunehmen."
Danone wiederum war mit Werbung für seine Kindermilch Aptamil und dem Joghurt Activia vertreten. Der Konzern habe "vorübergehend alle Werbeeinschaltungen bei YouTube im DACH- Raum storniert", sagt eine Sprecherin. "Wir analysieren gerade allumfassend, wie und wo die verschiedenen Werbepartner unsere Werbeinhalte verlinken und platzieren", erklärte Danone in der vergangenen Woche.
Noch nicht entschieden hat die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) ihre Werbepolitik. Clips der OeNB-Tochter Münze Österreich wurden dem "Outdoor Survival"-Video ebenfalls vorgeschalten. Während die Nationalbank bei Informationskampagnen, etwa für die Einführung neuer Banknoten, prinzipiell nur auf vorher definierten Webseiten informiere, sei bei der Münze Österreich die Werbepolitik bisher weniger strikt, sagt der Sprecher der OeNB. Dies werde nun überdacht.
Mehrere Unternehmen mit Milliardenumsätzen haben nach Anfrage der "Wiener Zeitung" den Kanal "NuoViso.TV" für Werbung gesperrt, bleiben aber mit ihren Clips auf anderen YouTube-Kanälen vertreten; darunter sind Mercedes-Benz, Media Markt (Metro Group), Porsche Holding Salzburg und T-Mobile-Austria. Die Zentrale Raiffeisenwerbung ließ über ihre Agentur ausrichten, "nicht weiter Stellung zu beziehen".
Angst vor Googles Marktmacht
Ein Storno bei Google ist heikel, denn der Internetriese ist der dominierende Anbieter digitaler Werbung. Alleine im ersten Quartal stiegen die Werbeerlöse um 19 Prozent auf 21,4 Milliarden Dollar (19,1 Milliarden Euro). Traditionelle Medienkonzerne brüten hingegen noch immer über der Zauberformel, wie sie online Geld verdienen. Selbst die "New York Times" nahm von Jänner bis März vergleichsweise läppische 50 Millionen Dollar (44,7 Millionen Euro) mit Onlinewerbung ein. Das sind zwar 19 Prozent mehr als im Vorjahresquartal, aber die Erlöse aus der Werbung für die gedruckte Zeitung sanken so stark, dass die gesamten Werbeeinnahmen um sieben Prozent fielen.
Aufgrund dieser Marktmacht Googles wollen viele Konzerne nicht auf Werbeplätze bei YouTube oder auf Millionen Webseiten, die im Google Display Network vertreten sind, verzichten - und das trotz unsicherer Ausspielung ihrer Clips. Das bestätigen Werbekunden der "Wiener Zeitung" hinter vorgehaltener Hand. Sie gingen öffentlicher Kritik aus dem Wege, versuchen stattdessen, in direkten Gesprächen Verbesserungen herbeizuführen.
Wandel nur durch Druck
Dabei war es nicht der konstruktiv-amikale Dialog, sondern der durch Werbestornos aufgebaute Druck, welcher Google veranlasst hat, seine Richtlinien zu verschärfen. So stehe nun ein Team von Mitarbeitern aus aller Welt bei "heiklen Ereignissen" bereit, um unpassende YouTube-Videos "aus dem Verkehr zu ziehen", heißt es in einem Folder Googles an Werbekunden. Der Konzern verweist auch auf die Fülle an neuem Videomaterial: 300 Stunden würden pro Minute hochgeladen. Werber können mittlerweile auch YouTube-Kanäle unterschiedlicher Kategorien ausschließen; neu sei dabei die Kategorie "heikles Thema", das etwa Selbstmord, Angriffe auf Tiere und Autounfälle beinhalte, schreibt Google.
Reibungslos funktioniert die Kategorisierung nicht, wie "NuoViso.TV" zeigt. Das bedeutet einen gehörigen Kratzer für die gerne strahlend auftretende Marke Google - die nicht Stellung bezieht, warum sie Werbung auf "NuoViso.TV" zulässt.
Kontrollverlust bei Online-Werbung
Google als größter Online-Werbedienstleister bietet mehrere Möglichkeiten bei der zielgruppengerechten Suche an: Anzeigen werden nach Interessen des Nutzers laut dessen Klick- und Suchverhalten, nach Themen, die Google vordefiniert oder im Umfeld von vom Werbekunden vordefinierten Stichwörtern geschalten. Auf seinem Portal YouTube ist Google Werbeplatzmonopolist.
Die Kunden wissen jedoch in der Regel nicht, auf welchen Seiten Google die Werbung ausspielt. Noch haben sie Einblick, wie Google seriöse von extremistischen Portalen unterscheidet. Werber laufen also Gefahr, mit ihren Bannern und Clips Extremismus zu finanzieren.
Zwar führt Google die Kategorie "Gefährlicher oder abwertender Content" und bietet dort keine Werbeplätze an. Nach welchen Definitionskriterien dies geschieht, bleibt aber geheim.
Diesen Kontrollverlust nehmen Milliardenkonzerne in der Hoffnung in Kauf, ihre Zielgruppe online möglichst punktgenau zu erreichen. Sie ergreifen zwar Gegenmaßnahmen wie das gezielte Ausschließen von Webseiten ("Blacklisting"), was aber lückenhaft ist. Selten sind Kampagnen über ausschließlich vorher definierte Webseiten ("Whitelists").