Eurobonds auf Zeit: Berlin und Paris wollen den schwer von der Corona-Krise betroffenen EU-Staaten mit einem 500 Milliarden Euro schweren Fonds helfen. Scheitern könnte der Vorstoß an Österreich.
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Berlin und Paris haben sich "zusammengerauft", um es mit den Worten Angela Merkels zu sagen. In einer gemeinsamen Video-Pressekonferenz erklärten die deutsche Kanzlerin und der französische Präsident Emmanuel Macron, wie sie die von der Corona-Krise ausgelöste Rezession in der EU bekämpfen wollen: Ein Wiederaufbaufonds von 500 Milliarden Euro soll die "am stärksten betroffenen Sektoren und Regionen" über Mittel aus dem EU-Haushalt unterstützen. Gefördert werden sollen vor allem Bereiche des ökologischen und digitalen Wandels.
Der EU-Kommission soll erlaubt werden, auf den Kapitalmärkten Kredite aufzunehmen. Im Rahmen des mehrjährigen Finanzrahmens soll das Geld dann als Hilfe an Krisenstaaten gehen. Dafür haften und die Kredite begleichen sollen alle 27 EU-Staaten gemeinsam. Auch, wenn Merkel und Macron den Begriff nicht in den Mund nehmen wollten: Im Prinzip entsprechen die Hilfen zeitlich begrenzten Eurobonds.
Kurz bremst und will Gegenvorschlag präsentieren
Der Vorschlag für zeitlich begrenzte gemeinsame Anleihen kommt einer Sensation gleich: Berlin hat sich immer gegen eine gemeinsame Verschuldung gewehrt. Zusammen mit anderen Staaten, darunter Österreich, den Niederlanden und Finnland, hatte Deutschland es bisher abgelehnt, dass die EU-Kommission Schulden aufnimmt, um Finanzhilfen an Staaten auszuzahlen. Länder wie Frankreich, Italien und Spanien bestehen hingegen schon lange darauf. Sie waren schon vor der Corona-Krise hoch verschuldet und müssen nun neue Kredite aufnehmen. Im Gegensatz zu Deutschland haben die südlichen Mitgliedsländer kaum finanziellen Spielraum, um nun Geld in die Wirtschaft zu pumpen.
Damit bestehe die Gefahr der Wettbewerbsverzerrung auf dem Binnenmarkt, warnte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager in der "Süddeutschen Zeitung": Wenn deutsche Firmen dank staatlicher Hilfen vergleichsweise gut durch die Krise kommen, haben sie gegenüber Konkurrenten aus schwächeren Mitgliedsländern einen Vorteil.
Um den Vorschlag umsetzen zu können, braucht es die Zustimmung aller Mitgliedsländer - und Österreich hat bereits abgesagt. Er habe sich mit seinen Amtskollegen aus Dänemark, den Niederlanden und Schweden ausgetauscht, so Bundeskanzler Sebastian Kurz am Montag auf Twitter: "Unsere Position bleibt unverändert." Die EU solle rückzahlbare Kredite vergeben und keine Zuschüsse an Krisenstaaten. Am Dienstag bekräftigte Finanzminister Gernot Blümel diese ablehnende Haltung noch einmal: "Es braucht Investitionen in die Zukunft, statt Kostenabdeckung für die Schulden der Vergangenheit."
Kurz kündigt unterdessen gegenüber den "Oberösterreichischen Nachrichten" einen Gegenentwurf zum deutsch-französischen Wiederaufbauplan an. "Wir wollen solidarisch sein mit Staaten, die besonders hart von der Krise getroffen wurden, allerdings glauben wir, dass Kredite der richtige Weg sind, nicht Zuschüsse", bekräftigte Kurz gegenüber der Zeitung.
"In den nächsten Tagen werden wir einen Vorschlag mit eigenen Ideen vorlegen. Wir glauben, dass es möglich ist, die europäische Wirtschaft anzukurbeln und dennoch eine Vergemeinschaftung der Schulden zu vermeiden", zitierte die Zeitung den Bundeskanzler
Kritik an der österreichischen Regierung kam unter anderem vom Leiter der SPÖ-Delegation im Europaparlament. "Wie die ,Titanic‘ steuern wir auf einen Eisberg zu und die Regierung sitzt immer noch im Speisesaal und zählt das Silberbesteck", sagte Andreas Schieder bei einer Videokonferenz mit österreichischen EU-Abgeordneten am Dienstag. Dem Europaparlament sind die Hilfen für betroffene Staaten zu niedrig: Es fordert sogar zwei Billionen Euro für den Wiederaufbau nach der Corona-Krise - doppelt so viel wie die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen.
Lagarde lobt
Als "ehrgeizig, gezielt und willkommen" begrüßte den Vorstoß die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) Christine Lagarde. Die Vorschläge "öffnen den Weg zu langfristigen Anleihen der EU-Kommission und erlauben es, umfangreiche direkte Hilfen des EU-Haushalts zugunsten der am stärksten von der Krise betroffenen Staaten zu leisten", sagte Lagarde zum "Handelsblatt". Wie Merkel und Lagarde spricht auch Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire von europäischer Solidarität. Zum ersten Mal habe man sich darauf verständigt, gemeinsam Schulden in Europa aufzunehmen, um Investitionen zu finanzieren: "Das ist ein historischer Schritt für Frankreich und Deutschland und das ist auch ein historischer Schritt für die gesamte EU." Die Corona-Pandemie vergrößere die wirtschaftliche Kluft in der Gemeinschaft.
Denn die aktuelle Krise trifft ausgerechnet jene Staaten besonders hart, die ohnehin schon hoch verschuldet sind. Bisher hat Merkel einer "Gemeinschaftsverschuldung" nicht zugestimmt, weil Deutschland nicht für Fehler anderer Staaten aufkommen solle. Doch nun ist die Situation eine andere: Die Corona-Krise ist nicht selbst verschuldet. Das dürfte es der Kanzlerin einfacher gemacht haben, von ihrer Position abzurücken.
Merkel und Macron müssen nun für ihren Vorstoß kämpfen - und die anderen Mitgliedstaaten überzeugen. Schwierig dürfte das vor allem bei Österreich und den Niederlanden werden, die lediglich Kredite vergeben wollen. Doch auch die Osteuropäer könnten sich querstellen, weil sie fürchten, dass ihnen dann weniger Geld bleibt. Unklar ist nämlich noch, wie die 500 Milliarden Euro zurückgezahlt werden sollen. Eine Möglichkeit wäre eine Erhöhung der Haushaltsbeiträge, doch dieser Vorstoß sorgte bereits vor der Corona-Krise für Streit. Weitere Optionen sind eine Kürzung der Ausgaben oder neue direkte Einnahmequellen der EU. Kommende Woche will die EU-Kommission konkrete Vorschläge dazu auf den Tisch legen.