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Separatismus als Symptom

Von Isolde Charim

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Er ist nicht die Lösung, sondern der Ausdruck eines Problems.


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Das Referendum über die schottische Unabhängigkeit war ein regionales Ereignis von überregionaler Bedeutung. Denn wie bei allen europäischen Separatismen, ob bei den Schotten, bei den Katalanen, bei den Flamen oder bei den Südtirolern: Der Wunsch nach Abtrennung, der Wunsch nach Unabhängigkeit der Regionen, nach Ablösung von Nationalstaaten ist vor allem eines - ein Symptom. Der Separatismus ist nicht die Lösung, sondern der Ausdruck eines Problems. Er ist Symptom für ein weitverbreitetes Unbehagen. Und so, wie in der Psychoanalyse ein Symptom ein Kompromiss, eine Form für widersprüchliche Tendenzen ist, so ist es hier auch.

Wogegen wehren sich Separatisten: gegen politische Unterdrückung oder gegen ökonomische Ausbeutung? Es gehört zu der widersprüchlichen Gemengelage, dass ausgerechnet die konservative "FAZ" den Separatismus als Aufbegehren gegen den Kapitalismus versteht, gegen jenen neoliberal entfesselten Kapitalismus, wie er von Thatcher in Europa - mit Schottland als Teststrecke - eingeführt wurde. London sei für die Schotten das Gesicht dieses Kapitalismus, Downing Street 10 nur die Bühne für die Regentschaft der Londoner City. Bevor man jetzt in jenen Vulgärmaterialismus verfällt, der überall nur ökonomische Interessen sieht und alles und jedes auf diese eine letzte Wahrheit zurückführt, muss man sagen: In diesem Fall hat die Position etwas für sich. Zumal Schottland ja eine lange linke Gewerkschaftstradition hat und die Labour Party dort fest verankert war - zumindest, bis der Schotte (!) Tony Blair New Labour erfand.

Aber wenn man Separatismus als Wunsch versteht, dem globalisierten Kapital entgegenzutreten (und wenn schon die "FAZ" dazu aufruft), dann ist immer noch die Frage, ob der Weg der Separierung der richtige Weg ist. Und dabei stößt man auf einen weiteren Widerspruch dieses an Widersprüchen so reichen Phänomens. Denn - handelt es sich bei diesem antikapitalistischen Weg um einen nationalistischen Weg, oder geht es um den Sozialstaat? Ist es eine Besinnung auf die Nation mit ihren Trachten, mit all dem, was sie an identitärer Gewissheit zur Verfügung stellt, mit all der Bindungskraft ihrer Gemeinschaft, ihrer "imagined community" (Benedict Anderson)? Oder geht es um eine Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit, von sozialem Ausgleich, der die Schärfe der ökonomischen Ungleichheit lindern soll? Geht es um eine Politik, die dem ökonomischen Zugriff Einhalt gebieten soll und die zwar keine Gemeinschaft, aber doch eine gemeinsame Gesellschaft herstellen soll? Erstaunlicherweise treffen in dem Wunsch nach Separierung, in dem Wunsch nach Partikularisierung - also danach, einem Allgemeinen seine Besonderheit entgegenzusetzen - beide Tendenzen, linke und rechte, zusammen.

Beide Tendenzen speisen sich dabei aus einem Rückgriff auf die Vergangenheit: Der Rückgriff auf die Nation ist klarerweise ein Rückgriff auf ein Kulturgut, das sich auf alte Abgrenzungen, auf alte Grenzverläufe beruft; der Rückgriff auf den Sozialstaat ist heute ebenso eine Rückkehr in die Vergangenheit, in die Zeiten eines intakten Wohlfahrtsstaats. Das "Ungeschehmachen", das Rückbauen sei die Signatur unserer Zeit, schreibt Slavoj Žižek. Nichts, was man auf Anhieb eine Zukunftsperspektive nennen würde.