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Serbiens neue Regierung hat sich bewährt - jetzt ist die EU gefordert

Von Christian Wehrschütz

Analysen

Die Verhaftung und die bevorstehende Auslieferung von Radovan Karadzic an das Haager Tribunal ist das beste Einstandsgeschenk, das sich die serbische Regierung zwei Wochen nach ihrem Amtsantritt selbst machen konnte. International gewann die Regierung an Glaubwürdigkeit, weil sie ihrem proeuropäischen Bekenntnis konkrete Taten folgen ließ. Dazu zählt nicht nur Radovan Karadzic, sondern auch die Rückkehr der Botschafter in jene EU-Staaten, die seit Februar die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt haben. | Doch auch innenpolitisch hat die Regierung ihre erste große Bewährungsprobe bestanden. Die ehemaligen Milosevic-Sozialisten erwiesen sich als berechenbarer Partner der proeuropäischen Kräfte - auch bei dem für sie schmerzlichen Thema Haager Tribunal. Nicht vergessen werden darf, dass es erst zwei Jahre her ist, dass Slobodan Milosevic in einer Zelle dieses Tribunals starb. Die neue Regierung könnte somit wirklich eine stabile sein, die Serbien sehr nahe an die EU heranführen kann.


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Diese Politik Serbiens verpflichtet auch die EU - und zwar zu einer Politik mit Augenmaß. Zunächst sollte Brüssel Serbien nicht ständig als den "reuigen Sünder" behandeln, der mehr wert ist als tausend Gerechte. Dieser Eindruck besteht in der Region, und das motiviert die anderen Staaten des ehemaligen Jugoslawien nicht gerade zu einem forschen Reformtempo und konstruktivem Verhalten.

Daher muss Brüssel etwa von Serbien eine Politik einfordern, die die weitere Konsolidierung des Kosovo als unabhängigen Staat erleichtert. Erforderlich ist keine Anerkennung, sondern das stillschweigende Ende der Obstruktion, die bisher serbische Staatsräson war.

Außerdem muss Brüssel die Energie aufbringen, im Namensstreit zwischen Griechenland und Mazedonien eine aktive Rolle zu spielen. Je länger Athen die euroatlantische Integration blockiert, desto instabiler wird Mazedonien werden, weil gerade der Beitritt zu Nato und EU die Basis für die Aussöhnung zwischen Mazedoniern und Albanern bildet. Konstruktiv und aktiver sollte die EU auch in Bosnien sein, wo eine umfassende Staatsreform dringend notwendig ist.

Die Verhaftung von Radovan Karadzic darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das ehemalige Jugoslawien von einer Aussöhnung noch weit entfernt ist. Diese wird mit juristischen Mitteln nicht zu erreichen sein wird.

Im Gegenteil: Fragwürdige Freisprüche des Tribunals haben die Gräben zwischen Serben, Bosniaken und Kroaten eher noch vertieft; das Schlagwort von einer Individualisierung der Schuld ist eine Illusion. Daher ist nun das Tribunal gefordert. Es muss im Fall Karadzic zeigen, dass es zu einer effizienten Prozessführung fähig ist.

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