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Serbiens Sozialisten im Zwiespalt: Kluft zwischen Führung und Wählern

Von Von Christian Wehrschütz

Analysen

In Serbien haben die proeuropäischen Kräfte bei der Parlamentswahl am Sonntag zwar einen großen Sieg, aber keine absolute Mehrheit errungen. Ihr bisheriger Partner, der nationalkonservative Ministerpräsident Vojislav Kostunica, schloss noch in der Wahlnacht eine weitere Zusammenarbeit aus; zu tief sind die Gegensätze in der Frage EU und Kosovo. Von vornherein ausgeschlossen war eine Koalition der Proeuropäer mit den Nationalisten, der zweitstärksten Kraft. | Im Kampf um die Macht spielen nun die Milosevic-Sozialisten die Rolle des Königsmachers. In einer gemeinsamen Liste mit der Pensionistenpartei und einer zentralserbischen Regionalpartei errangen sie 20 Mandate. Umworben werden die Sozialisten von Kostunica, der mit den Nationalisten bereits weitgehend handelseins ist, aber auch von den proeuropäischen Kräften unter Präsident Boris Tadic und zwar mit dem ausdrücklichen politischen Segen aus Brüssel.


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Abgesehen von der Frage "Wer bietet mehr?" bedeutet die Rolle des Züngleins an der Waage für die Sozialisten eine schwierige strategische Entscheidung. Denn es besteht eine klare Kluft zwischen reformorientierten Teilen der Parteiführung und der Wählerschaft. Diese vorwiegend alten Wähler sind Slobodan Milosevic vom Herzen her noch stark verbunden.

Auf eine Koalition mit jenen Kräften, die ihr Idol im Oktober 2000 stürzten und im Sommer 2001 an das Haager Tribunal auslieferten, sind diese Wähler nicht vorbereitet. Dies begünstigt eine Koalition mit Kostunica und der Radikalen Partei.

Aber gerade diese Nähe der eigenen Wähler zu den Radikalen nährt die Furcht, dass diese die Sozialisten mittelfristig "inhalieren" könnten. Für eine Koalition mit den proeuropäischen Kräften spricht nicht nur die Möglichkeit einer klareren Profilierung als sozialistische/sozialdemokratische Partei. Eine derartige Koalition würde den Sozialisten den Weg Richtung Sozialistische Internationale und Richtung EU öffnen.

Möglich wären auch eine Verjüngung der Wählerschaft sowie das Zurückgewinnen von Wählerschichten, die als Arme und Arbeitslose zu den Radikalen abgewandert sind. Erreichbar sind diese Ziele nur, wenn die künftige Regierung auch vier Jahre durchhält; im Falle vorgezogener Wahlen könnten die bisherigen Wähler erst recht zu den Radikalen abwandern.

Wie sich die Sozialisten entscheiden werden, steht noch nicht fest.

analyse@wienerzeitung.at