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Pristina · Bereits im Mai hatten kosovo-albanische Flüchtlinge im mazedonischen Tetovo von einem Massaker berichtet, das sich am 19. April im Dorf Kolic (20 km nordöstlich von Pristina) | zugetragen haben soll. Durch den Ort schlängelte sich damals ein kilometerlanger Flüchtlingstreck.
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Plötzlich, so erzählten die überlebenden Flüchtlinge, hätten serbische Truppen von den Anhöhen aus mit Panzerkanonen und Flak-MGs auf den Treck geschossen. Eine unbeschreibliche Panik sei
ausgebrochen, mehrere Dutzend Menschen blieben tot zurück.
Mit dem Abzug der serbischen Truppen aus dem Kosovo werden Orte wie diese wieder zugänglich. Knapp zwei Monate nach dem Geschehen bildet die Szenerie immer noch ein Bild des Grauens. Die ganze Ebene
ist gesäumt von zerstörten und zerschossenen Fahrzeugen aller Art: Lastwagen, Pkw, Traktoren mit Anhängern.
Die mitgeführten Habseligkeiten liegen in wilder Unordnung um die Fahrzeuge herum verstreut. Mal finden sich vom Regen ausgewaschene Sparbücher am Boden, mal steht ein Paar Damenstiefel einsam herum.
Über dem Ort liegt ein Hauch von Tod und Verwüstung.
Der 24jährige Osman Toverlani aus Podujevo war im Flüchtlingstreck, als der Angriff erfolgte. Er blieb anschließend in Kolic. "Ich sah überall Leichen, ich sah Menschen mit abgetrennten Gliedmaßen",
beschreibt er den Horror. "Ich half dabei, Verwundete auf einen Traktor-Anhänger zu laden, ungefähr 20." Die Bewohner von Kolic, die sich selbst in den Wäldern versteckt gehalten hatten, fanden nach
ihrer Rückkehr 73 Leichen, die sie entlang des Pfades bestatteten.
Die Aussagen der Augenzeugen sind glaubhaft und schlüssig. Etliche Fahrzeuge weisen Einschüsse von Flak-MGs auf. Aufgerissene Koffer, die am Boden herumliegen, deuten darauf hin, daß da jemand eilig
nach Wertsachen gesucht hat. Daß der Horror auf NATO-Luftangriffe zurückgehen würde, ist auch deshalb auszuschließen, weil sich nirgendwo Bombenkrater finden. Die ganze Strecke von Kolic bis knapp
vor Pristina gleicht einem Todespfad. Nach der Durchquerung der kleinen Ebene führt er durch ein langes Waldstück. Hier reiht sich Autowrack an Autowrack, jedes völlig ausgebrannt, offenbar von den
Serben mit Benzin übergossen. Auf dem letzten Abschnitt, einer Asphaltstraße, stehen nur noch ein paar zerstörte Traktoren.
Daneben säumen Massengräber den Weg. In Llukar, dem letzten Dorf vor Pristina, hat der 14jährige Fisnik Krasniqi geholfen, 14 Tote zu begraben. Hier schossen die Serben nicht mehr direkt in den Treck
hinein, sondern griffen sich einzelne Fliehende heraus und preßten ihnen Geld und Wertsachen ab. Wer nicht genug dabei hatte, wurde erschossen und am Straßenrand liegen gelassen.