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Sessel des Chefs der deutschen Bundesanstalt für Arbeit wackelt

Von Verena Schmitt-Roschmann

Wirtschaft

Fast jeder kennt diese Geschichten. "Die, die dir das Arbeitsamt schicken, kannste gleich vergessen", berichtet ein kleiner Mittelständler aus Nordbayern. Nur wer überhaupt keine Eigeninitiative habe, verlasse sich noch auf Hilfe der Behörde. Die Arbeitssuchenden sehen das ähnlich. Einmal habe er sich beim Arbeitsamt um eine Stelle bemüht, erzählt ein Journalist. Bis er ein halbes Jahr später auf eigene Kappe etwas Neues fand, habe er vom Sachbearbeiter nichts mehr gehört. Die Erfahrung reiche fürs ganze Leben.


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Doch trotz dieser Alltagslästereien schlug der Bericht des deutschen Bundesrechnungshofes mit schweren Vorwürfen an die Arbeitsämter vergangene Woche ein wie eine Bombe. Die Vermittlungsstatistik sei nicht nur schlecht, sie sei noch schlechter als behauptet, so die Kontrollore. Geprüft worden waren fünf repräsentative Arbeitsämter, festgestellt wurde, dass 70% der "Ermittlungserfolge" gar keine seien.

Nur jeder fünfte Jobsuchende vermittelt

Die Nachbeben der Affäre könnten den Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Bernhard Jagoda, vom Sessel heben, obwohl er als Beamter auf Zeit noch für vier Jahre bestellt ist. Wie es mit seiner 93.000 Mitarbeiter starken Behörde weiter geht, schien offen.

Schon wenige Tage vor Veröffentlichung des Rechnungshofsbericht, wonach Arbeitsämter nicht wie behauptet jeden zweiten, sondern nur jeden fünften Jobsuchenden vermitteln, hatte Arbeitsminister Walter Riester dunkle Andeutungen gemacht. Zu dem Zeitpunkt kannte er wohl bereits die Vorwürfe eines Mitarbeiters des Landesarbeitsamts Rheinland-Pfalz-Saarland, dass geschönte Statistiken bereits 1998 aufgefallen seien, Jagoda aber nichts unternommen habe.

Rücktrittsforderungen bis zu Arbeitsminister

Er wolle mehr Druck auf die Arbeitsverwaltung ausüben, innovative Strategien fördern, sagte Riester Ende Jänner ein wenig vage. Das "Job-Aqtiv"-Gesetz, nach dem Arbeitssuchende nach sechs Monaten private Vermittler einschalten dürfen, sei ein erster Schritt. Jetzt, da die Welle Rücktrittsforderungen auch Riester erreicht, wird in seinem Haus betont, der Minister verfolge die "Strategie Druck" schon lange und systematisch. Neues wie das Jugendprogramm JUMP oder das Job-Aqtiv-Gesetz seien den Arbeitsämtern aber aufgedrückt worden, ohne neues Geld ins System zu speisen. Riester selbst hat in der laufenden Debatte - in der es auch um seine Selbstverteidigung und um Schadensbegrenzung einer angeschlagenen Bundesregierung geht - demonstrativ offen gelassen, ob er als Konsequenz den öffentlich bediensteten Arbeitsvermittlern noch mehr private Konkurrenz auf den Hals hetzen könnte. Damit nähme er lautstarken Forderungen von Union, FDP und Wirtschaftsexperten ein wenig den Wind aus den Segeln. Welche Konsequenzen die Umverteilung der Vermittlungsarbeit für die Bundesanstalt haben könnte, ist ungeklärt. Der Vizepräsident des Bundes der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Olaf Henkel, meint, eine abgespeckte Behörde könne auch mit einem Drittel ihrer Mitarbeiter auskommen. Die Verteidigung der Bundesanstalt gegen derart großes Geschütz wirkte am Wochenende ein wenig kleinlaut. Eindeutig zurückweisen ließ Jagoda abermals die Rücktrittsforderungen. Er wolle die Vorwürfe klären und nicht "bei Sturm von Bord gehen".

Bei seinem Dementi der Vorwürfe ließ Behördensprecher Eberhard Mann einige Fragen offen. Ja, es habe 1998 Informationen über angebliche Mängel der Statistik in Rheinland-Pfalz-Saarland gegeben. Ja, damals seien ein "Leitungsgespräch" und eine Arbeitsgruppe anberaumt worden. Nein, die Ergebnisse der Gruppe seien nicht vollständig umgesetzt worden, sagte Mann. Die Gründe dafür blieben unklar. Die vom Rechnungshof gerügten Schwächen der Statistik erklärt Mann zum Teil mit Vorurteilen gegen von seiner Behörde geschickte Bewerber.

So sei es Praxis in vielen Arbeitsämtern, dass Vermittler Stellenausschreibungen aus dem Internet mit dem Hinweis an Arbeitssuchende gäben, sich bei der Bewerbung nicht unbedingt aufs Arbeitsamt zu berufen. Denn darauf reagierten Arbeitgeber bisweilen skeptisch. Dies sei aber schwer zu rekonstruieren. Für die Behörde und Jagoda wird die Zeit für Erklärungen allerdings knapp. Für Freitag hat Riester seinen Topbeamten aus Nürnberg zum Rapport bestellt.